Ideale Muskel-Landschaften: Michelangelos Akte in grosser Wiener Schau
Michelangelos Werke zum menschlichen Körper sind harmonisch und voller Spannung. Wie der Künstler die Nachwelt prägte, wird zurzeit in Wien ausgestellt.
Seine männlichen Akte sind präzise, gewaltige Muskel-Landschaften. Michelangelo (1475-1564) idealisierte den menschlichen Körper. Die Schau «Michelangelo und die Folgen» in der Wiener Albertina (15.9.2023 bis 14.1.2024) will anhand von rund 140 Werken veranschaulichen, wie der Renaissance-Künstler über Jahrhunderte nachfolgende Generationen prägte, aber auch wie der von ihm geschaffene Kanon verfiel.
Unter den ausgestellten Zeichnungen sind nach den Worten von Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder 80 herausragende Männer-Akte. «Seine Figuren sind von inneren Spannungen geradezu zerrissen», sagte Schröder am Donnerstag in Wien. Fast alle Werke stammen aus der riesigen grafischen Sammlung der Albertina.
Begründet hat Michelangelo das Modell des athletischen Körpers nicht erst mit den mehr als 100 oft vor Muskeln strotzenden Charakteren an der Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom. Schon 1504 beim Auftrag für ein Bild über die «Schlacht von Cascina» habe sich der Künstler in seinen Vorarbeiten mit den komplizierten Bewegungsmotiven der männlichen Akte auseinandergesetzt, so die Ausstellungsmacher. Der «Männliche Rückenakt» (1504) eines Soldaten wird so zum Ausschnitt eines heroischen Figurenideals.
Gegenbewegung: Die Hässlichkeit des menschlichen Körpers
Einer, der Michelangelo genau studiert, ist unter anderem Raffael (1483-1520). Doch die Ausstellung umfasst auch die Gegenbewegung, wie sie Rembrandt (1606-1669) verkörpert. Im Gegensatz zu Michelangelo habe der niederländische Meister als Anhänger des Realismus keine Scheu vor der Hässlichkeit des Menschen gehabt, sagte Schröder.
Bei ihm seien die Abdrücke von Strumpfbändern auf den Beinen genauso zu sehen wie der Bauch einer Frau, die sieben Kinder zur Welt gebracht habe. Den völligen Bruch mit dem idealisierten Körper zeigt nicht zuletzt der Raum mit Zeichnungen von Egon Schiele (1890-1918). In dessen drastischem «Mädchenakt mit verschränkten Armen» (1910) ist Nacktsein gleichbedeutend mit maximalem Ausgesetztsein.