Der Iran macht Ernst: Neuer Verstoss gegen Atomabkommen
Das Wichtigste in Kürze
- Die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran ist nach einem neuen Verstoss Teherans gegen zentrale Auflagen der Vereinbarung höchst ungewiss.
«Ab heute halten wir uns nicht mehr an die 3,67 Prozent und unsere Urananreicherung wird je nach Bedarf erhöht», sagte Regierungssprecher Ali Rabei in der iranischen Hauptstadt Teheran. Die Begrenzung der Urananreicherung auf maximal 3,67 Prozent , mit dem der Iran am Bau einer Atombombe gehindert werden soll.
Ausserdem drohte die Islamische Republik mit einem weiteren Verstoss gegen die Vereinbarung von 2015. Sollten die verbliebenen Partner des Abkommens nicht binnen 60 Tagen auf die Wünsche Irans eingehen, werde die dritte Phase des Teilausstiegs eingeleitet, kündigte Vizeaussenminister Abbas Araghchi an. Sollte der Umbau der Reaktors Arak zu einem Leichtwasserreaktor nicht in zwei Monaten fertig sein, könne auch ein Rückbau zu einem Schwerwasserreaktor erfolgen, so Araghchi. Das würde die atomaren Kapazitäten des Irans erhöhen.
Zugleich machte der Iran deutlich, dass das Land das Abkommen wieder einhalten werde, sollten die verbliebenen Vertragspartner seinen Wünschen nachkommen. Jüngst hatte Teheran bereits die erlaubte Menge an Uranvorräten überschritten.
Die Europäische Union reagierte alarmiert. «Wir sind extrem besorgt über Irans Mitteilung, dass es mit der Urananreicherung über dem Limit von 3,67 Prozent begonnen hat», sagte eine Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin appellierte an Teheran: «Wir rufen Iran mit Nachdruck dazu auf, alle Schritte einzustellen und rückgängig zu machen.»
Rückhalt für den Iran kam aus Russland. Bei allem Bedauern über die iranischen Handlungen halte sich Teheran letztlich an die juristischen Grundsätze, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, der Agentur Interfax. Zuerst seien die USA ausgestiegen, dann habe sich die EU schwer getan mit der Einhaltung ihrer Verpflichtungen.
Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien wird am Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um die Lage zu beraten. Mit dem neuen Schritt durch Teheran ist der Wille der verbliebenen Partner - Russland, China, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland -, den Deal zu retten, schwerer umsetzbar denn je. Möglicherweise wird ein Streitschlichtungsmechanismus aktiviert, an dessen Ende eine Neuauflage auch der UN-Sanktionen stehen könnte. Das wäre das faktische Aus des Abkommens.
Der Iran werde die Urananreicherung je nach technischem Bedarf schrittweise auf 5 bis 20 Prozent erhöhen, sagte der Sprecher der iranischen Atomorganisation, Behrus Kamalwandi, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rabei und Vizeaussenminister Abbas Araghchi. Derzeit gebe es jedoch noch keine Anweisungen für eine Anreicherung auf 20 Prozent, die für den medizinischen Reaktor in Teheran erforderlich sei, sagte Kamalwandi. Bis zum Nachmittag konnte die IAEA den Schritt noch nicht durch ihre Inspekteure bestätigen.
Vizeminister Araghchi bezeichnete den iranischen Schritt als legitim und im legalen Rahmen des Wiener Abkommens. «Wir haben nach dem Ausstieg der USA im vergangenen Jahr der Diplomatie ein Jahr Zeit gegeben ..., aber ohne Ergebnisse», sagte Araghchi. Dennoch sei der Weg für eine diplomatische Lösung weiterhin offen. Präsident Hassan Ruhani habe am Samstagabend ein konstruktives Telefonat mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron über weitere Verhandlungen dazu geführt, sagte der Vizeminister. Dabei sei es vor allem um ein Aussenministertreffen der verbliebenen Vertragspartner gegangen.
Im Ringen um die Rettung des Deals gibt es aus Sicht des Experten Wolfgang Ischinger noch Chancen. «Es gibt einen diplomatischen Manövrierraum, der noch nicht völlig ausgeschöpft ist», sagte Ischinger dem Nachrichtenportal «t-online.de» am Sonntag. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz empfiehlt, dass die verbliebenen Partner des Abkommens die Angelegenheit zur Chefsache machen sollten. Es komme vor allem darauf an, dass Russland und China sich der Rettung des Deals von 2015 verpflichtet fühlten. Aktuell wäre es auch nach Meinung des Sicherheitspolitik-Experten Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) verfrüht, das konkrete Ende des Abkommens auszurufen. «Die Lichter sind noch nicht ganz aus.»
Die USA sind 2018 aus der Vereinbarung mit Teheran ausgestiegen. US-Präsident Donald Trump hat zudem Sanktionen gegen das Land verhängt, die jedem wirtschaftliche Nachteile androhen, der iranisches Öl kauft. Damit will er die Einnahmen der Islamischen Republik drastisch vermindern und Teheran politisch gefügiger machen. Der Iran sieht seine mit dem Abkommen verbundenen wirtschaftlichen Hoffnungen völlig enttäuscht. Vor zwei Monaten hatte Teheran deshalb angekündigt, in Stufen aus dem Deal auszusteigen.
Die USA hatten die Führung in Teheran jüngst eindringlich vor der angedrohten Urananreicherung gewarnt. «Sie wissen, womit sie spielen, und ich denke, sie spielen mit Feuer», sagte US-Präsident Donald Trump im Weissen Haus. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte bei einer Sitzung seines Kabinetts am Sonntag, der Iran verfolge mit dem jüngsten Schritt ein Ziel - «den Bau von Atombomben». Er rief die EU erneut auf, die vom UN-Sicherheitsrat bei Verstössen gegen das Nuklearabkommen vorgesehenen automatischen Sanktionen gegen den Iran in Kraft zu setzen.
Anlass des Atomabkommens war die Sorge, der Iran könne eine Atombombe bauen. Daher wurde dessen Atomprogramm massiv eingeschränkt und überwacht. Auf 90 Prozent hoch angereichertes Uran kann für Nuklearwaffen benutzt werden. Bei einer Anreicherung des Urans auf 20 Prozent ist der Schritt bis zum waffenfähigen Uran nur noch klein. Allerdings sind sich die Experten weitgehend einig, dass Teheran bis zum möglichen Bau einer Atombombe mindestens ein Jahr brauchen würde.
Der Iran behauptet, dass auch bei einem eventuellen Ausstieg aus dem Atomabkommen das Land nicht an einem Atomwaffenprogramm arbeiten werde. Die Herstellung und Nutzung von Massenvernichtungswaffen sei nach islamischen Vorschriften verboten. Diesbezüglich gebe es auch ein Dekret des obersten iranischen Führers, Ajatollah Ali Chamenei, das sogar bei den UN registriert sei.