Labour Party kann keinen Profit aus Johnsons Fehlern schlagen
Angriffsflächen auf Boris Johnsons Tories gäbe es für die Labour Party zu Genüge. Doch die Opposition hat sich für einen anderen Weg entschieden.

Das Wichtigste in Kürze
- Im November lag Englands Labour Party in Umfragen vor den Tories.
- Doch Boris Johnsons erfolgreiche Impfkampagne sorgt für einen Stimmungsumschwung.
- Die Opposition sucht nach einem Weg, um wieder stärker zu werden.
Etwa 150'000 Corona-Tote, eine Debatte um Polizeigewalt und ein herber Einbruch der Exporte nach dem Brexit: Angriffspunkte, um die Regierung zu kritisieren, gibt es in Grossbritannien genug für die Opposition.
Und mindestens einmal in der Woche ist Keir Starmer, dem Chef der Labour Party, auch die Aufmerksamkeit sicher: Jeden Mittwoch, pünktlich zur Mittagszeit, hat der Oppositionsführer bei den «Prime Minister's Questions» sechs Fragen an Boris Johnson frei. Live übertragen von den grossen Nachrichtensendern.

Meist sorgfältig ausgestattet mit Statistiken versucht der 58 Jahre alte Starmer seit einem Jahr Woche für Woche, den Premierminister anzugreifen. Und Fehlentscheidungen offenzulegen.
Doch schaut man in die Umfragewerte, scheinen die meisten Angriffe abzuperlen wie Regentropfen von einem Schirm. Derzeit liegt die konservative Tory-Partei in Meinungsumfragen acht bis zehn Punkte vor Labour. Der Tendenz nach nimmt der Vorsprung noch zu.
Labour Party im November in Umfrage vor Tories
Spätestens seit sich im Februar der Erfolg der britischen Impfkampagne abzeichnete, vergrössert sich der Abstand. «Die Regierung hat Glück gehabt, dass ihr Erfolg in der späten Phase der Pandemie kam.» Das sagt Politik-Experte Nigel Fletcher vom King's College London. «Die Sorge für die Labour Party ist, dass das das Bild ist, was bleibt.»
Ein Jahr nach seinem Antritt als Parteichef am 4. April 2020 hat Starmer den ersten Höhen- und Sinkflug bereits hinter sich: Im Herbst und Winter sah es noch besser aus für ihn. Der Labour-Chef und seine Partei trieben Johnson vor sich her und forderten härtere Corona-Massnahmen. Diese wurden erst von der Regierung abgelehnt und dann wenige Wochen später fast genauso umgesetzt.
Im November überholte die Labour Party die Tories sogar in den Umfragen. Viele wünschten sich lieber den besonnenen Starmer als Premier. Doch die Stimmung hat sich gedreht.

Derzeit tourt ein stolzer Johnson durch die Impfzentren des Landes und verkündet neue Meilensteine im Kampf gegen das Virus. Und verteidigt einen «vorsichtigen, aber unwiderruflichen» Weg aus dem Lockdown.
Schnelle Rückkehr in Mainstream
«Labour hat einen wirklich schwierigen Job zurzeit», meint Tim Durrant von der Denkfabrik Institute for Government. «Die Menschen wollen zurzeit keine grossartigen politischen Auseinandersetzungen. Sie wollen Lösungen für die Krise.»
Starmer, dessen erstes Jahr vollständig in die Zeit der Krisenbewältigung fällt, hatte gleich zu Beginn «konstruktive Opposition» angekündigt. So weit, so konstruktiv – doch an Profil gewinnen lässt sich so nur schwierig.
Bei der Unterhauswahl 2019 hatte Labour das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten erzielt. Eine unklare Position zum Brexit und Antisemitismus-Vorwürfe kosteten Stimmen. Seit dem Wechsel an der Spitze sind solche Vorwürfe in den Hintergrund gerückt.
«Starmer war sehr erfolgreich darin, Labour wieder in den politischen Mainstream zu bringen», stellt Fletcher fest. Viele hatten erwartet, dass das länger dauert.
Keine klare Zukunfts-Vision
Noch ist unklar, was der Brexit in den nächsten Jahren für das Vereinigte Königreich konkret bedeutet. Doch dieses Fass will die Labour Party nicht wieder aufmachen.
Auch, weil die Partei vor allem in den klassischen Arbeiterregionen im Norden Englands viele Sitze verlor. Dort ist die Zustimmung zum Brexit besonders ausgeprägt. «Man kann nicht damit gewinnen, alte Wunden zu öffnen», meint Durrant.

Doch eine klare Vision, wie Grossbritannien unter einer Labour-Regierung aussehen könnte, fehlt bislang. Starmer, ein ehemaliger Chef-Ankläger des Crown Prosecution Service, ist kein Mann der Luftschlösser oder durchschlagenden Gags. Er will mit Sachkenntnis und Argumenten überzeugen - weshalb ihm der Premier immer wieder die Show stiehlt.
Johnson beherrsche es, auch Menschen anzuziehen, die normalerweise nicht konservativ wählten, sagt Fletcher. «Sie können als Opposition so gut aussehen, wie Sie wollen. Wenn die Regierung populär ist, können Sie das nicht ändern.» Die nächste reguläre Wahl ist 2024.