Nach Mays Abschiedsrede: Wer wird nächster Premierminister?
Die Tage der britischen Premierministerin Theresa May sind gezählt.
Das Wichtigste in Kürze
- Britische Medien rechnen mit bis zu 20 Tories, die ihren Hut in den Ring werfen werden, obwohl das bisher nur wenige offiziell bestätigt haben.
Am 7. Juni will sie ihr Amt als Parteichefin abgeben. Dann beginnt das offizielle Auswahlverfahren für einen Nachfolger. Doch das Rennen hat längst begonnen.
Britische Medien rechnen mit bis zu 20 Tories, die ihren Hut in den Ring werfen werden, obwohl das bisher nur wenige offiziell bestätigt haben. Die bekanntesten Anwärter:
- Ex-Aussenminister gilt als aussichtsreichster Kandidat. Umfragen zufolge ist er mit grossem Abstand der Favorit der Parteimitglieder. In der konservativen Fraktion ist er weniger populär. Viele trauen ihm jedoch zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Der einst auch unter liberalen Wählern populäre Ex-Bürgermeister von London ist für seinen Wortwitz, aber auch für seine Tollpatschigkeit bekannt. Als Aussenminister liess er kaum ein Fettnäpfchen aus. Johnson war der Frontmann der konservativen Brexit-Befürworter im Wahlkampf vor dem Referendum im Jahr 2016. Trotzdem gilt er als pragmatisch, wenn es für ihn von Vorteil ist. Experten warnen jedoch, der Favorit habe sich bislang bei den Tories selten durchgesetzt.
- Auch dem ehemaligen Brexit-Minister werden Chancen auf den Top-Job ausgerechnet. Anders als Johnson wird ihm kaum Kompromissbereitschaft zugetraut. Einen No-Deal-Brexit dürfte er ohne Zaudern in Kauf nehmen, sollte sich die EU nicht zu grosszügigen Zugeständnissen durchringen. Als Brexit-Minister musste er viel Spott einstecken für die Aussage, ihm sei nicht klar gewesen, wie wichtig der Ärmelkanal für den Warenhandel zwischen Grossbritannien und dem europäischen Kontinent ist.
- Aussenminister hatte beim Brexit-Referendum 2016 gegen den EU-Austritt gestimmt, später aber eine Wandlung zum Brexiteer vollzogen. Viele glauben, dass er sich damit schon in Position bringen wollte für die May-Nachfolge. Als Aussenminister gelang es ihm, die europäischen Verbündeten mit ähnlich provokativen Statements gegen sich aufzubringen wie sein Vorgänger Boris Johnson. Bei einer Parteitagsrede verglich er die Europäische Union mit der Sowjetunion. Vor allem aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten handelte er sich damit wütende Reaktionen ein.
- Umweltminister gilt als bestens vernetzt, nicht nur im britischen Parlament, sondern auch bei den Mächtigen in der Welt der Medien. Als er nach einem gescheiterten Versuch, Premierminister zu werden, kurzzeitig auf den hinteren Bänken im Parlament Platz nehmen musste, verdingte er sich nebenberuflich als Journalist. Im Auftrag des Rupert-Murdoch-Blatts «Times» interviewte er den damals designierten US-Präsidenten Donald Trump.
- Auch Innenminister wechselte nach dem Brexit-Referendum auf die Gewinner-Seite. Als Sohn eines pakistanischstämmigen Busfahrers verkörpert er den Traum vom sozialen Aufstieg in einer weiterhin stark durch Klassendenken geprägten Gesellschaft. In der Debatte um die Rückkehr einer in Grossbritannien aufgewachsenen IS-Frau, die mit ihrem neugeborenen Kind in einem syrischen Flüchtlingslager feststeckte, zeigte er sich hart und entzog ihr die Staatsbürgerschaft. Als das Baby starb, wurde Javid teils scharf kritisiert.
war nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von David Cameron 2016 neben Theresa May in die engere Auswahl als Parteichefin gekommen. Sie musste sich aber wegen einer unglücklichen Äusserung aus dem Rennen zurückziehen. Später wurde sie von May als «Leader of the House of Commons» ins Kabinett geholt. Mit ihrem Rücktritt am Mittwoch beschleunigte sie womöglich den Abschied ihrer einstigen Rivalin.
Weitere mögliche Kandidaten sind unter anderen Ex-Arbeitsministerin Esther McVey, ihre Nachfolgerin, die frühere Innenministerin Amber Rudd, Verteidigungsministerin Penny Mordaunt und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart. Als Überraschungskandidat gilt der Vorsitzende des einflussreichen 1922-Komitees, Graham Brady.