Neue Proteste gegen Lukaschenko trotz Freilassung von Gefangenen
Das Wichtigste in Kürze
- Mehrere gefangengenommene Demonstranten wurden in Belarus freigelassen.
- Dennoch haben am Freitagmorgen erneut Proteste stattgefunden.
- Darunter waren Hunderte Ärzte und Frauen.
Nach der Freilassung vieler Gefangener in Belarus (Weissrussland) haben in dem Land neue Proteste gegen Gewalt und Willkür unter Präsident Alexander Lukaschenko begonnen. Hunderte Ärzte und Frauen bildeten am Freitagmorgen in der Hauptstadt Minsk Menschenketten, um gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Kundgebungen zu demonstrieren.
Die Proteste richten sich gegen den 65-jährigen Lukaschenko. Der Staatschef hatte sich nach 26 Jahren an der Macht bei der Wahl am Sonntag mit rund 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger ausrufen lassen. Am Nachmittag wollen die EU-Aussenminister bei einer Videokonferenz über die Lage in der Ex-Sowjetrepublik beraten.
Ein grosser Teil der Bevölkerung hält die 37 Jahre alte Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja für die eigentliche Gewinnerin der Abstimmung. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das benachbarte EU-Land Litauen geflüchtet. In Russland, das wirtschaftlich eng mit Belarus verbunden ist, wurden erstmals Rufe nach einer Vermittlerrolle Moskaus laut.
Streik von Arbeitern in Staatsbetrieben
Der russisch-belarussischer Handelsrat forderte in einem offenen Brief ein Ende des «sinnlosen Blutvergiessens und der Gewalt gegen friedliche Bürger». Es müsse ein Komitee zur nationalen Rettung aus Intelligenz und Wirtschaft gebildet werden für einen Ausweg aus der politischen Krise, hiess es. Russland gilt als das Land mit dem grössten Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik. Allerdings unterstützt auch die EU mit ihrem Programm der östlichen Partnerschaft die Entwicklung des zwischen Polen und Russland gelegenen Staates.
Arbeiter in Staatsbetrieben traten am Morgen erneut in den Streik gegen den Machtapparat. Der Druck auf Lukaschenko ist damit nach Meinung von Beobachtern weiter gewachsen. Der Staatschef wollte sich noch am Freitag in einer Rede an die Nation zur Lage äussern, wie eine Sprecherin der Präsidialverwaltung sagte. Es mehren sich Stimmen von Experten, die meinen, dass Lukaschenkos Tage im Amt gezählt sein könnten.
In der Nacht zum Freitag hatten die Behörden viele der rund 7000 im Zuge der Proteste festgenommenen Bürger wieder auf freien Fuss gesetzt. Tausende wurden aber weiter in den Gefängnissen festgehalten. Nach ihrer Freilassung berichteten viele Menschen von schwersten Misshandlungen im Gefängnis. In Videos schilderten Frauen und Männer, dass sie kaum ernährt und in engsten Zellen stehend zusammengepfercht worden seien. Viele Bürger zeigten – nur in Unterwäsche bekleidet – ihre mit Platzwunden und grossen blauen Flecken von Schlägen übersäten Körper.
Mehrere Menschen mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht
Mehrere Entlassene mussten wegen der Schwere ihrer Verletzungen sofort ins Krankenhaus gebracht werden, wie Medien in Minsk berichteten. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich dafür, dass bei den Protesten gegen Fälschung der Wahlergebnisse vom Sonntag auch viele Unbeteiligte festgenommen worden seien. So etwas passiere aber, meinte er. Bis zum Morgen sollten mehr als 1000 der insgesamt rund 7000 Gefangenen freigelassen werden. Ein 25-Jähriger war unter ungeklärten Umständen nach seiner Festnahme am Sonntag gestorben.
Frauen schilderten nach der Freilassung aus dem Gefängnis auf der Okrestin-Strasse in Minsk unter Tränen, dass sie geschlagen worden seien. In Zellen mit vier Betten seien 35 Frauen gewesen, sagte eine Freigelassene dem Portal tut.by. «Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen», sagte sie. «Überall war viel Blut.»
Es war das erste Mal seit Tagen, dass der Machtapparat unter Lukaschenko einlenkte. Tausende Menschen hatten auch am Donnerstag bei den bislang breitesten Protesten den Rücktritt des Präsidenten gefordert. «Hau ab!», «Freiheit!» und «Es lebe Belarus!», riefen viele Demonstranten. Zuletzt hatte Lukaschenko auch mit dem Einsatz der Armee gedroht, um sich eine sechste Amtszeit zu sichern. Die Proteste hatte er als vom Ausland gesteuert kritisiert und die Demonstranten als Arbeitslose mit krimineller Vergangenheit beschimpft.