Online-Kaffeeklatsch gegen die Isolation im Digital-Studium
Vor dem Bildschirm hocken und Vorlesungen zuhören, das mag ab und zu bequem sein. Aber immer? Studierende fühlen sich zunehmend allein. Auch die Unirektoren bangen um die Zukunft des akademischen Nachwuchses.
Das Wichtigste in Kürze
- Der digitale Kaffeeklatsch mit Freunden ist für die Heidelberger Jura-Studentin Annalena Wirth der Höhepunkt ihres derzeitigen sozialen Lebens.
Es ist das zweite Semester, in dem sie coronabedingt online studiert - im ganzen November ist per Corona-Verordnung Präsenzlehre untersagt.
«Ich habe mich sehr auf die Vorlesungen gefreut und war sehr traurig, dass diese nur digital gehalten werden», sagt die 19-jährige Sprecherin des Studierendenrats der Universität Heidelberg.
Starkes Internet gefragt
Nach wochenlangem Brüten über einer Hausarbeit in ihrer kleinen Studentenbude hatte sie sich auf Kontakte bei einer Vorlesung gefreut - doch sie fand sich in der Anonymität einer Online-Veranstaltung wieder. Auch das Lösen von Fällen in Arbeitsgemeinschaften falle nun flach. Stattdessen müsse man mit der Technik kämpfen; in ihrer ersten Vorlesung habe das Online-System nur 250 Teilnehmer zugelassen. «Wenn es mehr sind, kommt derjenige mit dem stärksten Internet zum Zug», erläutert sie.
Wirth sah es bislang als Vorteil an, allein in einem Einzimmer-Appartement zu leben. Nun beneidet sie die Kommilitonen, die in Wohngemeinschaften leben und stets Ansprache haben. Auch gemeinsames Mittagessen in der Mensa ist nicht möglich, Speisen gibt es nur noch «to go». Für die Erstsemester sei es besonders schwer, sich zu orientieren, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu schliessen oder sich bei älteren Kommilitonen Tipps zu holen. Das alles gehöre zum Studentenleben dazu. «Es ist eine sehr belastende Zeit», fasst die junge Frau zusammen.
Studierende leiden unter Isolation
Vereinsamung, technische Probleme, Geldsorgen wegen des Verlusts des Nebenjobs - die Probleme der Studenten sind weit elementarer als nur der Verzicht aufs Feiern. Die Isolation ist laut einer in der Wochenzeitung «Die Zeit» veröffentlichten Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung ein grosses Kümmernis. 80 Prozent der zwischen Juni und August befragten Studierenden leiden unter dem fehlenden Austausch mit Kommilitonen. 63 Prozent fehlt der Kontakt zu den Lehrenden. Mit den Tücken der Online-Lehre schlagen sich nur 14 Prozent herum.
Im Südwesten hatten Studenten und Professoren bis kurz vor Beginn des Wintersemester am vergangenen Montag gehofft, dass die Konzepte zu so viel Präsenz-Lehre wie möglich umgesetzt werden. Anders als Kitas und Schulen blieben die Bildungseinrichtungen Hochschulen von dem erzwungenen Rückzug ins Digitale nicht verschont. Diese Enttäuschung hat nun auch die Rektoren der neun Universitäten im Land auf den Plan gerufen.
Kein direkter Austausch mit Lehrenden und Kommilitonen
Der Chef der Landesrektorenkonferenz, Stephan Dabbert, malt für die Studierenden, die dieses und vergangenes Semester an die Unis kamen, ein düsteres Bild. Die Entwicklung habe gravierende Folgen für sie. «Die beiden Digitalsemester führen beispielsweise in den Buchwissenschaften dazu, dass ein Bachelorstudierender ein Drittel seiner oder ihrer Studienzeit die Universität nicht betreten wird und keinen direkten Austausch mit den Lehrenden oder seinen Kommilitonen hat», sagt Dabbert. «Dies wird sich zwangsläufig auf die Studiendauer und den Studienerfolg auswirken», fügte der Rektor der Universität Hohenheim in Stuttgart hinzu. Laut der in der «Zeit» veröffentlichten Studie glauben 47 Prozent der Studierenden, dass sich ihr Studium durch die Pandemie verlängern wird.
Auch der Heidelberger Rektor Bernhard Eitel stimmt die Studierenden auf harte Zeiten ein. In in einer Begrüssungsmail zum Studienstart zeigt er unter anderem die Schwierigkeiten auf, mit denen die 5000 Erstsemester und neu in eingeschriebenen Studierenden konfrontiert sind: «Die aktuellen Umstände erschweren es massiv, sich untereinander kennenzulernen, Informationen auszutauschen und ein Studium auch als Lebensabschnitt zu organisieren.»
Hochschulen stellen ihre Angebote um
Bei aller Kritik der Hochschulen an den verschlechterten Studienbedingungen machen diese aus Sicht des Wissenschaftsministeriums ihre Sache doch gut. Alle Hochschulen hätten intensiv an Formaten gearbeitet, um Erstsemester wie auch Zweitsemester abzuholen und möglichst gute Startvoraussetzungen für sie zu schaffen. Viele Hochschulen hätten noch vor den Einschränkungen ihre Erstsemester bei Präsenz-Veranstaltungen begrüssen können. Andere stellten ihre Angebote für die kommenden Tage und Wochen gerade unter Hochdruck um, lobt das Ressort von Theresia Bauer (Grüne).
Annalena Wirth, die im dritten Semester studiert, hilft das gerade wenig. Sie freut sich, dass wenigstens die Uni-Bibliothek nicht geschlossen ist. Dahin flieht sie, wenn ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.