Österreich: Kurz verteidigt sich gegen Korruptionsvorwürfe
Das Wichtigste in Kürze
- Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat erneut versucht, die Korruptionsvorwürfe der Staatsanwaltschaft zu entkräften.
Es gebe überhaupt kein Indiz dafür, dass er persönlich zum Beispiel in die Beauftragung für ihn günstiger Meinungsumfragen oder in das Schalten von Inseraten verwickelt sei, sagte Kurz in der ORF-Nachrichtensendung «ZiB2». «All diese Vorwürfe, die es da gibt, richten sich gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums», betonte Kurz. Dass Umfragen zu seinen Gunsten manipuliert worden seien, sei schon deshalb abwegig, weil Dutzende Umfragen im fraglichen Zeitraum 2016 ganz ähnliche Werte für Parteien und Politiker ergeben hätten. Einen Rücktritt schloss Kurz aus.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit - Kurz und sein Team sollen sich auf dem Weg zur Macht in Partei und Staat auch strafbarer Methoden bedient haben.
Fahnder rückten an, um im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale, im Finanzministerium und in einem Medienhaus Materialien zu sichern. Sie suchten Mails aus der Zeit seit Anfang 2016 sowie Datenträger, Server, Handys und Laptops. Betroffen war der engste Kreis um Kurz - etwa ein Pressesprecher, sein Medienberater und sein Chefstratege. Gerüchte um eine drohende Razzia hatten seit Tagen die Runde gemacht.
Kurz wies den Korruptionsverdacht zurück. «Ich bin überzeugt davon, dass sich auch diese Vorwürfe schon bald als falsch herausstellen werden», sagte der konservative Politiker (ÖVP) dem Sender ORF. Er warf den Ermittlern vor, Chatnachrichten aus dem Zusammenhang zu reissen oder falsch darzustellen. «Und dann wird drumherum ein strafrechtlicher Vorwurf kreiert.» Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach angesichts der Hausdurchsuchungen von einem sehr ungewöhnlichen und schwerwiegendem Vorgang.
Die 104-seitige Begründung der Ermittler für die Durchsuchungen hat es in sich. Der Wortlaut wurde von dem investigativen Online-Portal Zackzack veröffentlicht, hinter dem der Ex-Grünen-Chef und Ex-Nationalratsabgeordnete Peter Pilz steckt.
Aus dem Dokument geht der Verdacht hervor, dass Kurz an einem Deal mit einem österreichischen Medienhaus beteiligt gewesen sein soll. Er soll laut Anklagebehörde ab April 2016 als damaliger Aussenminister daran mitgewirkt haben, mit durch Steuergelder finanzierten Inseraten Einfluss auf redaktionelle Inhalte zu nehmen. Eine zentrale Rolle dabei sollen Umfragen gespielt haben, deren Zeitpunkt, Fragestellungen und Auswertung vom Team um Kurz beeinflusst worden seien.
Die ÖVP und das Medienhaus dementierten die Vorwürfe vehement. «Zu keinem Zeitpunkt gab es zwischen der Mediengruppe ÖSTERREICH und dem Finanzministerium eine Vereinbarung über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate», teilte die Mediengruppe mit. Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz sprach in einer Mitteilung von falschen Anschuldigungen. «Das passiert immer mit demselben Ziel und System: Die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen», sagte sie. Es gehe den Ermittlern offenbar um einen «Showeffekt». ÖVP-Fraktionschef August Wöginger kündigte Widerstand an. «Wir werden hier mit aller Kraft dagegen halten, sowohl auf der politischen als auch auf der juristischen Ebene.»
Die Mittel im Umfang von mehr als einer Million Euro sollen laut Staatsanwaltschaft dabei aus dem Etat des Finanzministeriums geflossen sein, als Kurz die Übernahme der ÖVP anstrebte. Er gewann 2017 den Machtkampf gegen den hoffnungslos unterlegenen ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner und wurde im Dezember 2017 Kanzler einer Koalition aus ÖVP und rechter FPÖ. Auch danach soll die Kooperation zwischen dem Kanzleramt und dem Medienhaus weitergegangen sein. «So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Geniales Investment. (...) Wer zahlt schafft an. Ich liebe das», heisst es laut Ermittlungsunterlagen in einer Chat-Nachricht eines Kurz-Vertrauten aus dem Finanzministerium, nachdem wieder einmal die gewünschte Berichterstattung platziert wurde. Am gleichen Tag soll Kurz sich beim Absender bedankt haben: «Danke für Österreich heute!"»
Eine Regierungskrise scheint nun fast unausweichlich. Die Grünen, als Partner der ÖVP seit Januar 2020 mit in der Koalition, hatten stets betont, dass mit ihnen nur eine «saubere Politik» möglich sei. Das Bündnis aus ÖVP und Grünen wurde zuletzt immer wieder durch Vorwürfe der ÖVP gegen die Justiz belastet. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler hielt fest, dass «Angriffe auf die Justiz insgesamt zurückzuweisen» seien. Der Chefredakteur des Magazins «Falter», Florian Klenk, schrieb auf Twitter: «Nach erster schneller Lektüre dieses Hausdurchsuchungsbefehls und der darin enthaltenen Chats kann man getrost sagen: Das geht sich jetzt mit der Koalition zwischen ÖVP und den Grünen nicht mehr aus. Game over.»
Die Koalition, die nach eigenem Credo das Beste aus zwei Parteiwelten verbinden wollte, hatte immer wieder schwierige Momente zu überstehen. Zuletzt plädierten die Grünen in der Flüchtlingsfrage für zumindest humanitäre Gesten, etwa in der aktuellen Afghanistan-Krise. Die ÖVP unter Kurz setzte dagegen ganz auf ihren von vielen Bürgern mitgetragenen harten Anti-Migrations-Kurs.
Die Opposition sieht die Ermittlungen als Bestätigung für den Korruptionsverdacht im Umfeld von Kurz. «Für Kurz und die türkise Familie wird es immer enger», kommentierte die SPÖ in Anspielung auf die Parteifarbe der ÖVP. «Das türkise Kartenhaus bricht krachend zusammen», so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch.
Der ÖVP gehe es vor allem um die Macht, kritisierte der Generalsekretär der liberalen Neos, Douglas Hoyos. Er forderte die Kanzlerpartei auf, zur Aufklärung beizutragen, statt den Ruf der Justiz zu beschädigen. Der ÖVP-Parlamentarier Andreas Hanger hatte am Dienstag noch von «linken Zellen» innerhalb der WKSTA gesprochen, die gezielt den Ruf von Kurz schädigen wollten.