Lebenslange Haft für Serienmörder Niels Högel
Die Mordserie dürfte die grösste der deutschen Nachkriegsgeschichte sein. Ex-Pfleger Niels Högel tötete so viele Patienten, dass er sich selbst längst nicht an alle erinnern können will. Mit dem Urteil gegen ihn ist der Fall juristisch immer noch nicht beendet.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Landgericht Oldenburg hat den Serienmörder und Ex-Krankenpfleger Niels Högel wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt.
Zugleich stellte die Kammer die besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren in der Praxis so gut wie ausschliesst.
«Herr Högel, das Verfahren und die Taten sprengen jegliche Grenzen und überschreiten jeglichen Rahmen», sagte Richter Sebastian Bührmann zu dem Angeklagten. Er habe aus niedrigen Beweggründen und teilweise aus Heimtücke gehandelt. Das Motiv für die Taten bleibe unklar. Es sei ihm um die «Gier nach Spannung» gegangen.
Högel war bereits zweimal verurteilt worden, 2015 unter anderem wegen zweifachen Mordes an Patienten zu lebenslanger Haft. Im jüngsten Prozess war der Deutsche wegen 100 Morden angeklagt. Högel gestand 43 Taten. In 15 Fällen sprach ihn das Gericht nun frei. Seine Schuld habe nicht eindeutig bewiesen werden können, sagte der Richter. Dafür entschuldigte er sich bei den anwesenden Angehörigen. Es habe im Prozess zu viel Nebel gegeben, «der uns die Sicht auf die Dinge erschwert hat».
Högel hatte seine Opfer . Dabei brachte er in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst in Niedersachsen Patienten in lebensbedrohliche Lagen, um bei der notwendigen Reanimierung Lob von seinen Kollegen zu bekommen. Richter Bührmann attestierte ihm Geltungsbedürfnis, Imponiergehabe und Selbstüberhöhung. In Oldenburg überlebten laut Urteil 31 Patienten nicht, in Delmenhorst 54.
Bührmann kritisierte mit deutlichen Worten das Verhalten etlicher ehemaliger Kollegen Högels im Zeugenstand. Sie hatten sich auf Erinnerungslücken berufen. Wenn es um Högel gegangen sei, seien sie «plötzlich sehr einsilbig» geworden, sagte Bührmann. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg leitete acht Verfahren wegen Meineids und zwei wegen Falschaussagen ein.
Vier ehemalige Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst müssen sich zudem demnächst wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten. In dem Prozess dürfte Niels Högel als Zeuge geladen werden. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt zudem gegen Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg.
Mit dem Urteil ging nach rund sieben Monaten ein Prozess zu Ende, der im In- und Ausland viel Beachtung fand. Die Schuld sei immens, sagte Bührmann zu Högel. Zur Veranschaulichung verwies Bührmann auf das Rechtssystem in den USA, wo anders als in Deutschland Einzelstrafen addiert würden. Bei 85 Morden mit je einer Mindeststrafe von 15 Jahren wären dies 1275 Jahre, rechnete Bührmann. «Das gibt eine Ahnung von dem, was ich unfassbar nenne.»
Högel habe Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr getötet. Jeder einzelne Fall wurde vor Gericht behandelt. «Ich kam mir vor wie ein », sagte Bührmann. «Tatsache ist: Manchmal reicht die schlimmste Fantasie nicht aus, um die Wahrheit zu beschreiben.» Der menschliche Verstand müsse da kapitulieren. Es sei nicht gelungen, alle Antworten zu finden. Högel habe zwar eine Persönlichkeitsstörung, seine Handlungsfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen.
Bührmann betonte, er zweifele am Aufklärungswillen des Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg, Dirk Tenzer. Wichtige Protokolle und Strichlisten mit Todesfällen seien erst lange nach dem Mordurteil aus dem Jahr 2015 an die Ermittler weitergegeben worden. Ausserdem sei offenbar durch von der Klinik bezahlte Zeugenbeistände versucht worden, Mitarbeiter in ihren Aussagen zu beeinflussen.
Das Klinikum Oldenburg begrüsste das Urteil. Die Ungewissheit der Angehörigen seiner Opfer wenigstens in den abgeurteilten Fällen habe ein vorläufiges Ende, schrieb Tenzer. Högel habe jedoch seine Chance vertan, allen Angehörigen Gewissheit zu geben. «Dies verurteilen wir aufs Schärfste.» Abhängig von einer Revision einer der Parteien würden weitere Verfahren folgen. «Dieser Fall wird uns und die Öffentlichkeit daher noch lange beschäftigen.»
Christian Marbach, Sprecher der Angehörigen, nannte das Urteil einen «Meilenstein». Für die Hinterbliebenen sei es eine Genugtuung. Nun gehe es darum, auch die Kliniken «zur Verantwortung zu ziehen». Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sagte, die Mitschuld von Arbeitgebern, Kollegen und Behörden sei weiterhin unklar. «Warum wurde weggeschaut, unter den Teppich gekehrt und die Ermittlung verzögert? Das gilt es aufzuklären und von Gerichten zu ahnden.»