Projekt Machtübernahme - Salvini will alles

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Belgien,

Italien glüht. Und der Sommer scheint einem ganz allein zu gehören: Matteo Salvini. Wie oft sah Italien schon das Ende der Regierung mit seiner Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung kommen. Jetzt ist es so weit - mit ungewissen Folgen für Europa.

Matteo Salvini kündigte im Senat ein Misstrauensvotum gegen Giuseppe Conte an. Foto: Stefano Cavicchi/Lapresse.Foto S/Lapresse via ZUMA Press
Matteo Salvini kündigte im Senat ein Misstrauensvotum gegen Giuseppe Conte an. Foto: Stefano Cavicchi/Lapresse.Foto S/Lapresse via ZUMA Press - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer weiss, was in Matteo Salvini vorging, als er mit einem breiten Grinsen und Badehose vor zehn Tagen im Sand buddelte.

Malte er sich die Regierungskrise so aus, wie er sie Italien nun beschert hat?

Er scheint es auf jeden Fall eilig gehabt zu haben, die Allianz mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu beenden. Am Donnerstag sagte er basta, es reicht. Eine Neuwahl in Italien wird nun immer wahrscheinlicher.

Abgesehen vom Zeitpunkt - mitten in den sakrosankten Ferien - kommt die Krise alles andere als überraschend. Seit Monaten, wenn nicht seit Beginn der Koalition im Juni 2018 wurde ihr baldiges Ende beschworen. Es gab wenige Themen, bei denen die Koalitionspartner in den vergangenen 14 Monaten an einem Strang zogen. Das drohende Auseinanderbrechen des Bündnisses war Lieblingsaufmacher der Tageszeitungen, in einem Ausmass, dass man es fast gar nicht mehr ernst nahm.

Doch zuletzt steigerte der «Capitano» die Spannung unaufhaltsam. Schon am Mittwoch roch es nach Krise, als sich der Innenminister gewohnt patriotisch im Küstenort Sabaudia von einer Schar Anhängern feiern liess. Im Hintergrund lief Luciano Pavarotti. Stellenweise klang Salvinis Ansprache wie ein Abgesang auf die Koalition in Rom, doch ganz so weit war es da noch nicht. Verheissungsvoll sagte er: «Ich schlafe wenig und schlecht, nicht wegen der Hitze, sondern weil ich eine grosse Verantwortung spüre.»

Salvini will Regierungschef werden - das weiss das Land seit langem. Auf dem Logo seiner Partei steht seit der Parlamentswahl 2018 «Salvini Premier». Der 46-jährige Mailänder hat eine steile Karriere hingelegt - der bisherige Höhepunkt: Die Europawahl im Mai, als die Lega in Italien mehr als 34 Prozent bekam. Vor allem mit seinem rigorosen Anti-Migrationskurs und der harten Hand gegen Seenotretter im Mittelmeer zog er Wähler auf seine Seite. Auch für die klare Kante gegen die Europäische Union bekommt er Applaus. Seine Anhänger lieben ihn, weil er sich gibt, wie einer von ihnen und ihre Sprache spricht.

Ununterbrochen bespielt er dazu die sozialen Kanäle im Internet. Mal holt er seine Facebook-Follower an seinen Schreibtisch ins Innenministerium, mal auf eine Dachterrasse über den Dächern Roms. Zudem beherrscht er die Schlagzeilen, ob mit Bezichtigungen von Migranten oder Sinti und Roma oder flapsigen Kommentaren zum Tagesgeschehen.

In Umfragen liegt die Lega nun bei um die 37 Prozent und Salvini kann sich sicher sein, als Sieger aus einer Wahl hervorzugehen. «Er hat diese Regierung gestürzt (...), weil er die Umfragen vor die Interessen des Landes gestellt hat», schimpft Sterne-Chef Luigi Di Maio. Doch er muss sich vorwerfen lassen, dass er Salvini zuletzt kaum mehr etwas entgegensetzen konnte. Das Votum der Sterne gegen ein von der Lega unterstütztes Bahnprojekt war nun für Salvini der willkommene Anlass, das Projekt Machtübernahme zu starten. Die Sterne stehen mehr denn je als «Nein-Sager» da. Mit ihm aber gäbe es keine Politik der «halben Massnahmen», er sei kein geborener «Sesselwärmer», verspricht Salvini immer und immer wieder.

Die Möglichkeit, die Beliebtheit in den Umfragen noch weiter zu steigern, sei begrenzt gewesen, analysiert Wolfgango Piccoli von der Denkfabrik Teneo. In die Hände dürfte Salvini auch spielen, dass die Opposition, allen voran die sozialdemokratische Partei, nicht auf eine Wahl vorbereitet ist.

Einziges Risiko könnte nach Angaben von Analyst Piccoli sein, dass einige Lega-Wähler es Salvini übel nehmen könnten, dass eine Neuwahl zunächst auch versprochene drastische Steuersenkungen verhindert. Laut sind solche Stimmen bislang aber nicht. Am Freitag wurde Salvini in der Adria-Stadt Termoli frenetisch gefeiert und von Journalisten und Fans belagert wie ein Popstar. «Matteo, Matteo, Matteo» skandierte die Masse. Ein Anhänger brüllte ihm zu: «Besser alleine als in schlechter Gesellschaft.»

Aus Brüssel werden die Ereignisse in Rom mit Sorge beobachtet. Im Europaparlament arbeitet Salvinis Lega unter anderem mit der deutschen AfD sowie der Partei Rassemblement National der Französin Marine Le Pen zusammen. Die in der Fraktion «Identität und Demokratie» vereinten Rechtspopulisten und Nationalisten haben sich auf die Fahne geschrieben, «Stachel im Fleisch der Eurokraten zu sein» und wollen Kompetenzen von der EU in die Hauptstädte zurückverlagern. So weist die Lega beispielsweise die derzeitigen europäischen Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung zurück und pocht auf mehr nationale Autonomie in der Finanzpolitik.

Unangenehm könnte es für die EU vor allem in Bereichen werden, wo einstimmige Entscheidungen erforderlich sind. Salvini gilt zum Beispiel als russlandfreundlich und hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die im Ukraine-Krieg eingeführten Wirtschaftssanktionen gegen Russland für überflüssig, gar schädlich für Italien hält. Sollte er Regierungschef werden, könnte er bei der nächsten Entscheidung über eine Verlängerung der Sanktionen ein Veto einlegen und so dafür sorgen, dass die Strafmassnahmen am 31. Januar 2020 auslaufen.

Kritiker Salvinis verweisen zudem auf dessen politische Nähe zum umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und befürchten ein echten Rechtsruck in der EU, sollte die viertgrösste Volkswirtschaft der EU künftig von der Lega regiert werden. Wie Orban macht Salvini am laufenden Band Stimmung gegen Migranten und Einwanderung. Und wie Orban gilt Salvini als Vertreter einer Politik, die den starken Nationalstaat einer starken EU vorzieht.

Salvini habe Italien im August einen «Gewittersturm» beschert, schreibt ein Kommentator in «La Stampa». Mit der Regierungskrise versuche er nun, die Bedingungen zu schaffen, unter denen er seine Revolution fortsetzen kann.

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