Radikale Denkerin: Ausstellung zu Hannah Arendt

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Deutschland,

Sie ist eine der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts: Das Deutsche Historische Museum widmet der Philosophin Hannah Arendt eine sehenswerte Ausstellung.

"Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" wird im im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
"Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" wird im im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Ihr Begriff von der «Banalität des Bösen» wurde zum politischen Schlagwort: Hannah Arendt (1906-1975), eine der einflussreichsten Denkerinnen des 20.

Jahrhunderts, hat Kontroversen nie gescheut, wie es ihr Urteil über den NS-Verbrecher Adolf Eichmann zeigt.

Ob ihre Haltung zu dem Schreibtischtäter («Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen») oder die Vergleiche von Nationalsozialismus und Stalinismus - als politische Philosophin entfaltet Arendt ihre Wirkung bis heute.

Das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin widmet der Publizistin jetzt eine sehenswerte und anregende Ausstellung (11. Mai bis 18. Oktober), die Arendts politische Äusserungen in den Mittelpunkt stellt. Die messerscharf reflektierende Philosophin, 1906 als Johanna Arendt in Hannover geboren und in Königsberg aufgewachsen, blieb bis zu ihrem Tod 1975 in New York eine radikal unabhängige Denkerin.

Mit mehr als 300 Objekten, darunter Briefe und Originaldokumente, zeichnet die Ausstellung «Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert» Arendts intellektuellen Werdegang nach. In Hörstationen liest die Schauspielerin Bibiana Beglau kongenial aus ihren Texten.

Arendts prägnante Erscheinung war kaum zu übersehen. Einen Begriff davon bekommt der Besucher mit den Auszügen aus dem berühmten TV-Interview, das Arendt 1964 dem Journalisten Günter Gaus gab: Eine Kettenraucherin spricht vor der Kamera im Zigarettendunst mit knarziger Stimme und glasklarer Sprache über Denken und Handeln, Moralvorstellungen und politische Verantwortung.

Arendt sei nie neutral im Abseits gestanden und habe sich nie gescheut, ihre Meinung zu sagen. «Da urteilt jemand auf eigene Kosten», sagt die Ausstellungskuratorin Monika Boll. In Arendts Biografie als verfolgte Jüdin spiegele sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Nach dem Studium in Deutschland unter anderem beim Philosophen Martin Heidegger war Arendt wegen der Verfolgung durch die Nazis über Paris in die USA emigriert. In New York fand sie ihre geistige Heimat und wurde später stolze US-Bürgerin. In Magazinen und Vorträgen äusserte sie sich immer wieder zu den Themen der Zeit, etwa dem Antisemitismus, dem Nahost-Konflikt, die Diskriminierung der Schwarzen in den USA und dem Feminismus.

«Sie entzog sich jeder politischen Zugehörigkeit und Einordnung», sagt der Präsident des Deutschen Historischen Museums, Raphael Gross. Diese Eigenständigkeit sei Resultat ihres intellektuellen Projekts gewesen.

Arendts Positionen erläutert die Ausstellung mit historischen Hintergründen. Zeitzeugen wie die 2019 verstorbene Philosophin Ágnes Heller und der Grünen-Politiker und einstige Anführer der Studentenrevolte Daniel Cohn-Bendit sprechen in kurzen Filmen über ihre Bedeutung. Auch das intellektuelle Verhältnis zu ihren Ehemännern Günther Stern und Heinrich Blücher, die Liebesbeziehung zu Heidegger oder die Freundschaft mit der Schriftstellerin Mary McCarthy, die ihre Nachlassverwalterin wurde, werden angesprochen.

Einen zentralen Raum nimmt Arendts Tätigkeit als Berichterstatterin im Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem ein. Eichmann war verantwortlich für die Deportationen von Millionen von Juden in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager. Nach seiner Festnahme in Argentinien durch den israelischen Geheimdienst wurde er in Jerusalem vor Gericht gestellt.

Arendts Artikelserie zum Prozess für das Magazin «The New Yorker» und das daraus entstandene Buch «Eichmann in Jerusalem» lösten Anfang der 1960er Jahre eine weltweite Debatte aus. Der Untertitel «Von der Banalität des Bösen» und die damit verbundene Beurteilung Eichmanns werden bis heute diskutiert.

Dabei habe Arendt keineswegs Eichmann als banal darstellen wollen, sagt Kuratorin Boll. «In der Nachkriegszeit hat man über den Nationalsozialismus als das Dämonische oder als Pakt mit dem Teufel gesprochen.» Gegen diese Sicht habe Arendt Eichmanns mörderische Banalität stellen wollen. Mit der Debatte über das Buch wurde Arendt zur international bekannten Intellektuellen.

Ob Arendt heute in Talkshows mit Zigarette auftreten würde? Vielleicht hätte sie sich wie Helmut Schmidt seinerzeit dieses Recht erkämpfen können. Denn für Arendt, sagt Boll, «gehörten Rauchen und Denken zusammen.»

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