Der Steuerschaden durch Cum-Ex-Geschäfte und ähnliche Steuertricks ist laut einer internationalen Medienrecherche dreimal so hoch wie bisher angenommen.
Euro-Banknote
Euro-Banknote - AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Finanzwende kritisiert «fortgesetztes Staatsversagen» in Deutschland.
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Insgesamt beliefen sich die Steuerschäden in Europa und den USA auf rund 150 Milliarden Euro, wie die Organisation Correctiv mitteilte. In Deutschland betrug der Schaden zwischen 2000 und 2020 demnach fast 36 Milliarden Euro. Kritiker nennen den mangelnden Kampf gegen die Steuertricks ein «fortgesetztes Staatsversagen».

Neben Deutschland und den USA wurden der Recherche zufolge zwischen 2000 und 2020 mindestens zehn weitere europäische Staaten Opfer von entsprechenden Steuertricks. Neben dem Recherchezentrum Correctiv beteiligten sich 15 internationale Medienpartner an der Recherche, darunter das ARD-Magazin «Panorama».

In Deutschland sei dem Fiskus von 2000 bis 2020 allein durch Cum-Cum-Geschäfte ein Schaden von mindestens 28,5 Milliarden Euro entstanden, erklärte Correctiv. Bei Cum-Cum-Geschäften verleihen ausländische Anleger ihre Anteile an einem deutschen Unternehmen kurz vor dem Dividendenstichtag an eine deutsche Bank. Wird die Dividende ausgeschüttet, wird darauf Kapitalertragsteuer fällig, die Bank kann sich die Steuer vom Staat anrechnen oder erstatten lassen. Kurz nach dem Dividendenstichtag gehen die Aktien zurück an den ursprünglichen Besitzer.

Dazu komme der Schaden durch ähnlich gelagerte Aktiengeschäfte wie Cum-Ex. Bei diesem Steuertrick wird eine nicht gezahlte Kapitalertragsteuer gegenüber dem Fiskus geltend gemacht und von diesem unrechtmässig zurückerstattet. Der Bundesgerichtshof hatte Ende Juli entschieden, dass Cum-Ex-Geschäfte strafbar sind. Insgesamt errechnete der Rechercheverbund einen Schaden von 35,9 Milliarden Euro für die Jahre 2000 bis 2020.

Der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel sagte «Panorama», er warne das Bundesfinanzministerium (BMF) schon seit Jahren vor Steuerraub durch dubiose Aktiengeschäfte. Spengel kritisierte, der zuständige Minister - also Olaf Scholz (SPD) - sei nicht «aktiv» geworden. Das BMF erklärte gegenüber dem Magazin, es habe die Hinweise Spengels an die zuständige Sondereinheit zur Bekämpfung kapitalmarktorientierter Steuergestaltungen beim Bundeszentralamt für Steuern weitergeleitet.

Correctiv kritisierte, problematisch sei insbesondere, dass jedes europäische Land bei der Verfolgung der Steuertricks seinen eigenen Regeln folge. Kein europäisches Land sei bereit, die Führung zu übernehmen und die Bemühungen zu koordinieren. Auch die europäischen Aufsichtsbehörden seien nicht in der Lage, den Betrug auf koordinierte Weise einzudämmen, kritisierte Correctiv. Sie rechtfertigten sich damit, dass ihnen die Instrumente zur Bekämpfung des Steuerbetruges fehlen, weil sie nicht zuständig seien. Ausserdem wüssten die Betrüger, wie sie das System austricksen können, um nicht entdeckt zu werden.

Der Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, Gerhard Schick, kritisierte, die Finanzbehörden seien bis heute nicht so aufgestellt, dass sie missbräuchliche Steuergestaltungen schnell erkennen und unterbinden. Der finanzpolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, Fabio De Masi, erklärte, nötig sei automatisierter IT-gestützter Abgleich aller Anträge auf Erstattung von Kapitalertragsteuern und der tatsächlich entrichteten Kapitalertragsteuern. «Solange dies nicht erfolgt, werden Cum-Ex-ähnliche Gestaltungen weiterhin möglich sein.»

Schick monierte, die Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene funktioniere viel zu wenig, um Steuerkriminellen etwas entgegenzusetzen. De Masi schlug vor, die deutsche Finanzverwaltung sollte ihr Wissen über Cum-Ex-ähnliche Gestaltungen und Erkenntnisse über die Nutzung solcher Modelle im Ausland «gezielt international einbringen».

Der Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende beklagte insbesondere die «mangelhafte Aufklärung». Das sei «fortgesetztes Staatsversagen, das jedem ehrlichen Steuerzahler einen Schlag ins Gesicht versetzt». Kriminelle hätten Milliarden geraubt und würden jetzt mit Samthandschuhen angefasst. «Sonst wird in der Steuererklärung gerne jeder Euro zehnmal umgedreht, bei Cum-Cum und Cum-Ex lässt man die Täter dagegen mit Milliarden laufen. Diese Signale an unsere Gesellschaft sind verheerend.»

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