Russischer Oppositioneller Piwowarow muss in U-Haft
In Russland muss der prominente kremlkritische Politiker Andrej Piwowarow in Untersuchungshaft - wegen der Beteiligung an einer Organisation, die er zuvor bereits selbst aufgelöst hatte. Ihm drohen viele Jahre Gefängnis.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenige Tage nach seiner Festnahme an Bord eines Flugzeugs hat ein russisches Gericht zwei Monate Untersuchungshaft für den Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow angeordnet.
Das Gericht in der südrussischen Stadt Krasnodar erklärte am Mittwoch, dass gegen den 39-Jährigen wegen der Beteiligung an einer in Russland «unerwünschten Organisation» ermittelt werde. Ihm drohen bis zu sechs Jahre Haft. Piwowarow und andere Regierungskritiker beklagten das Vorgehen als «Gesetzlosigkeit». Auch die Europäische Union hat bereits seine Freilassung gefordert.
Piwowarow hatte bis vor kurzem die kremlkritische Organisation «Offenes Russland» geleitet. Vor wenigen Tagen wurde die von dem im Ausland lebenden Oppositionellen Michail Chodorkowski unterstützte Gruppe in Russland zur «unerwünschten Organisation» erklärt und damit faktisch verboten. Unter dem staatlichen Druck hatte Piwowarow daraufhin die Auflösung bekannt gegeben.
Piwowarows Anwältin brachte die Inhaftierung mit dem Vorhaben ihres Mandanten in Zusammenhang, bei der Parlamentswahl im September antreten zu wollen. Das habe der Kremlpartei «Geeintes Russland» Angst gemacht, sagte Tatjana Usmanowa. Ein weiterer Anwalt des Oppositionellen kündigte an, die Entscheidung anfechten zu wollen. Es sei offensichtlich, dass Piwowarow aus politischen Gründen verfolgt werde. «Du liebst Putin nicht? Dann vergiften sie dich, sperren dich ein und foltern dich im Gefängnis», schrieb das Team des im Straflager inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny, der im vergangenen Jahr nur knapp einen Giftanschlag überlebte.
Auch Nawalny selbst solidarisierte sich in einem Instagram-Beitrag mit Piwowarow und weiteren festgenommenen Oppositionellen. «Das sind ehrliche Menschen, die genau dafür verfolgt werden», schrieb der Putin-Gegner, der am Mittwoch selbst eine weitere Niederlage gegen die russische Justiz einstecken musste. Ein Gericht wies seine Klage ab, ihn nicht länger als fluchtgefährdet einzustufen. Damit werde er auch künftig weiter mehrmals pro Nacht geweckt und somit durch Schlafentzug gefoltert, kritisierte seine Sprecherin Kira Jarmysch auf Twitter.
Piwowarow war am Montag bei der versuchten Ausreise nach Polen festgenommen worden. Polizisten stoppten die bereits rollende Maschine am Montag auf einem Flughafen in St. Petersburg, wie Piwowarow selbst berichtete. Später wurde er nach Krasnodar etwa 1200 Kilometer südlich von Moskau gebracht. Seine Anwältin erklärte die Verlegung mit mehreren Facebook-Beiträgen, die ihr Mandant vor rund einem Jahr von Krasnodar aus veröffentlicht habe und deretwegen nun ermittelt werde.
Die polnischen Behörden kritisierten das Vorgehen Russlands bei der Festnahme. «Das ist ganz klar eine inakzeptable Situation», sagte Regierungssprecher Piotr Müller dem Sender Polskie Radio. Präsidentenberater Pawel Mucha kündigte an, das Amt für Zivilluftfahrt werde alle Daten zu dem Vorfall analysieren, die man von der polnischen Fluggesellschaft Lot bekommen habe.
Das Team von Kremlkritiker Chodorkowski erklärte, Piwowarow sei nach «belarussischem Stil» aus dem Flugzeug geholt worden. In Belarus hatte vor mehr als einer Woche die erzwungene Landung einer Ryanair-Passagiermaschine international teils für heftige Kritik gesorgt. Der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko liess dabei einen seiner Gegner, den Blogger Roman Protassewitsch, festnehmen.
Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, wies unterdessen Vorwürfe der politischen Verfolgung von Oppositionellen in seinem Land zurück. «Wir verfolgen die Leute nicht nach den politischen Motiven», erklärte der Diplomat am Mittwoch in Rostock auf dem von Mecklenburg-Vorpommern ausgerichteten Russlandtag.
Die Europäische Union hingegen fordert die sofortige Freilassung Piwowarows. Ein Sprecher des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell beklagte ein «fortschreitendes Muster schrumpfenden Raumes für Zivilgesellschaft, Opposition und kritische Stimmen» in Russland.