Grenzkontrollen: Bestimmte Pendler dürfen kommen
Aus Angst vor ansteckenderen Corona-Varianten sind die Grenzen zu Tschechien und Tirol für viele dicht. Doch nicht so dicht, wie erst gedacht: Bestimmte Berufspendler dürfen nun doch einreisen. Trotzdem fürchtet die Industrie Probleme.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenige Stunden nach Inkrafttreten sind die schärferen Einreiseregelungen an den Grenzen zu Tschechien und Österreich bereits gelockert worden.
Berufspendler mit wichtigen Aufgaben in systemrelevanten Branchen dürften nun doch nach Deutschland einreisen, teilte das Bundesinnenministerium mit. «Wir gehen pragmatisch vor, wo immer das möglich ist», betonte Minister Horst Seehofer (CSU). Die Autoindustrie fürchtet trotzdem Produktionsausfälle, etwa weil Zulieferungen nicht rechtzeitig ankommen.
In der Nacht liefen die Kontrollen zunächst ruhig an und sorgten weder für Stau noch für lange Wartezeiten. «An einem Wochentag, wenn Pendler versuchen einzureisen, wird die Lage sicherlich anders aussehen», sagte ein Sprecher der Grenzpolizei Passau am Morgen. Laut Bundespolizeipräsidium wurden bis zum Nachmittag (15.00 Uhr) 2202 Personen an der deutsch-österreichischen sowie an der deutsch-tschechischen Grenze abgewiesen.
Künftig sollen nun auch Berufspendler einreisen dürfen, die gebraucht werden, um die Funktionsfähigkeit ihrer Betriebe in systemrelevanten Branchen aufrecht zu erhalten. Sie müssen dafür bis einschliesslich Dienstag ihren Arbeitsvertrag dabeihaben. Danach sollen die Länder Bayern und Sachsen Betriebe als systemrelevant definiert und individuelle Bescheinigungen ausgestellt haben, die an der Grenze vorgezeigt werden sollen.
Viele Betriebe hatten gefürchtet, am Montag nicht wie gewöhnlich produzieren zu können. Denn allein in Bayern arbeiten nach den aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 22 000 Tschechen und 9600 Österreicher, viele davon im verarbeitenden Gewerbe. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte, zu den Ausnahmebranchen sollten etwa Wasser- und Elektrizitätswerke oder die Lebensmittelproduktion zählen. Voraussetzung für die Einreise der Mitarbeiter ist aber weiter ein maximal 48 Stunden alter negativer Test, zudem müssen sie sich digital vor der Einreise anmelden.
Die Autoindustrie befürchtet trotzdem Probleme - vor allem, weil auch für Lkw-Fahrer ein aktueller Coronatest vorgeschrieben ist. «Diese neue Testpflicht für Lkw-Fahrer ist so kurzfristig gar nicht umzusetzen», erklärte der Branchenverband VDA. Weil die Massnahmen so kurzfristig gekommen wären, hätten die Werke sich ausserdem keine Zulieferkomponenten auf Vorrat legen können. Die Automobilproduktion werde ab Montagmittag deshalb grösstenteils zum Erliegen kommen, erklärte ein Sprecher. «Die Werke in Ingolstadt, Regensburg, Dingolfing, Zwickau und Leipzig sind als erste betroffen.»
Bei Volkswagen und bei Daimler erwartet man zunächst allerdings keine grösseren Einschränkungen. Noch gebe es keine Engpässe wegen fehlender Teile. Bei Daimler hiess es, von Werksschliessungen könne keine Rede sein.
Der VDA fordert, bis zum Aufbau ausreichender Testkapazitäten an den Grenzen, mindestens aber für die nächsten vier Tage, auf eine ärztliche Testbestätigung zu verzichten und ersatzweise Selbsttests für Fahrer zuzulassen. Tirol kündigte an, schon ab Sonntag den Lastwagenverkehr aus Italien vorab zu kontrollieren und zu drosseln, um einen extremen Rückstau zu verhindern.
Österreich kritisierte die neuen deutschen Einreisebeschränkungen scharf. Aussenminister Alexander Schallenberg warnte vor «überschiessenden Schritten, die mehr schaden als nützen.» Das habe der konservative Minister seinem Berliner Kollegen Heiko Maas mitgeteilt. Ausserdem werde der deutsche Botschafter Ralf Beste, zu einem Gespräch im Wiener Aussenministerium erwartet, berichtete die Nachrichtenagentur APA. Wiens Innenminister Karl Nehammer beschwerte sich, dass die Reisebeschränkungen für Tirol den innerösterreichischen Verkehr zwischen Tirol und dem Osten Österreichs behinderten, weil die Strecke über das sogenannte Deutsche Eck in Bayern de facto gesperrt sei. Dies sei «inakzeptabel».
Auch der slowakische Aussenminister Ivan Korcok intervenierte bei Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD). Wie das slowakische Aussenministerium mitteilte, ging es dabei ebenfalls um die Testpflicht für Lkw-Fahrer.
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kritisierte die deutschen Einreiseregeln ebenfalls. «Die Furcht vor den Mutationen des Coronavirus ist verständlich. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt», sagte die 64-jährige Politikerin aus Zypern der «Augsburger Allgemeinen». Über kritische Bemerkungen seitens der EU-Kommission hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer schon tags zuvor empört.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte die schärferen Einreiseregeln. «Wir müssen unseren Landkreisen in der Grenzregion die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen», sagte er der «Süddeutschen Zeitung». Es gebe «Momente in einer Pandemie, in denen man solche Entscheidungen zur Sicherheit und Gesundheit aller treffen muss.»