Solingen (D): So einfach entkam Messerstecher der Abschiebung
Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen (D) stellen sich viele die Frage: Wie entkam der mutmassliche Täter seiner Abschiebung?
Das Wichtigste in Kürze
- Der mutmassliche Täter von Solingen (D) hätte Anfang 2023 abgeschoben werden sollen.
- Eine Zeitung hat nun das «Abschiebe-Versagen» der Behörden unter die Lupe genommen.
- Ein Fachanwalt berichtet von einem möglichen Fehler der zuständigen Ausländerbehörden.
Bei der Messerattacke von Solingen (D) hatte ein Mann drei Menschen getötet und acht weitere mit gezielten Messerstichen in den Hals zum Teil lebensgefährlich verletzt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den Tatverdächtigen wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Zu dem Fall gibt es noch immer zahlreiche ungeklärte Fragen. So wundern sich in Deutschland viele, wie es überhaupt zu der Bluttat in Solingen kommen konnte. Denn eigentlich hätte der 26-jährige Syrer, wohnhaft in Paderborn, bereits Anfang 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen.
In Bulgarien war er nämlich zuerst in die Europäische Union eingereist. Das Dublin-Abkommen sieht vor, dass das erste Land, das ein Asylbewerber betritt, für das Asylverfahren zuständig ist. Obwohl für die Abschiebung nach Medienberichten bereits ein Datum feststand, fand diese nicht statt. Offenbar war der 26-jährige monatelang untergetaucht, die Abschiebung wurde hinfällig.
«Es reichte, sich einmal zu verstecken, um nicht abgeschoben zu werden»
Die «Bild»-Zeitung hat das Abschiebe-Versagen der deutschen Behörden genauer unter die Lupe genommen und erklärt, dass der Syrer im Jahr 2022 nach Deutschland kam. Als es Zeit war für die Abschiebung nach Bulgarien, soll die zuständige Ausländerbehörde Bielefeld dann aber lediglich einmal versucht haben, den Täter von Solingen aufzusuchen.
«Weil er in seiner Unterkunft in Paderborn nicht anzutreffen war, zog die Ausländerbehörde wieder ab», schreibt die Boulevardzeitung und kommt zum Schluss: «Er tauchte nicht unter, um die Behörden auszutricksen. Es reichte, sich einmal zu verstecken, um nicht abgeschoben zu werden.»
Weiter wird erklärt, dass die Behörden nämlich hätten handeln können, wäre der Syrer untergetaucht. Denn laut Philipp Pruy, Fachanwalt für Migrationsrecht in Deutschland, ist die Rechtslage folgendermassen: «Taucht der Asylbewerber unter oder entzieht sich seiner Abschiebung, verlängert sich diese sogenannte Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate.»
Das heisst, dass Deutschland 18 Monate Zeit gehabt hätte, um den Syrer nach Bulgarien abzuschieben. Da der Täter von Solingen allerdings nur einmal nicht anzutreffen war und die Behörden nicht weiter versuchten, ihn abzuschieben, galt er nicht als untergetaucht.
Die Überstellungsfrist blieb somit bei sechs Monaten. Das heisst wiederum, dass der mutmassliche Täter nur sechs statt 18 Monate warten musste, um dann in Deutschland bleiben zu können.
«Täter wusste über die Gesetzeslage bestens Bescheid»
Anwalt Philipp Pruy beschreibt einen möglichen Fehler der zuständigen Ausländerbehörde und meint: «Ein einziger Versuch, den Betroffenen für die Abschiebung anzutreffen, erscheint ungewöhnlich wenig. Üblich ist, dass die Behörde mehrfach versucht, den Ausländer anzutreffen.»
Werde dieser schliesslich mehrfach nicht angetroffen, hätte die Ausländerbehörde ihn als untergetaucht melden müssen – und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängern können.
Die Zeitung erwähnt ausserdem, dass man erfahren habe, dass der Syrer sich vier Tage nach Ablauf der Überstellungsfrist, bei den Behörden meldete. Er zog dann auch seine Klage gegen den Überstellungsbescheid nach Bulgarien zurück.
«Der 26-Jährige wusste über die Gesetzeslage also bestens Bescheid», resümiert das Blatt. Als Verdacht der Behörden wird folgendes angegeben: «Er war entweder anwaltlich beraten oder vom Flüchtlingsrat über die Fristen informiert.»
Die Folge davon: Der Mann, der illegal eingereist war und sich der Abschiebung entzogen hatte, bekam trotzdem einen Schutzstatus. Das Bundesamt für Migration in Deutschland erteilte dem Syrer «subsidiären Schutz».
Auf Anfrage der «Bild» haben die zuständigen Behörden auf die Ermittlungsbehörden verwiesen.