Gesamte russische Regierung tritt überraschend zurück
Der Paukenschlag kommt nur wenige Stunden nach der Rede von Kremlchef Putin. Sein jahrelanger Wegbegleiter, Ministerpräsident Medwedew, tritt zurück. Putin zaubert gleich einen eigenen Wunschkandidaten hervor. Was bedeutet das für die Zukunft des Staatschefs?
Das Wichtigste in Kürze
- Nach der Ankündigung einer Verfassungsreform ist die russische Regierung vollkommen überraschend zurückgetreten.
Er wolle Präsident Wladimir Putin damit die Möglichkeit geben, die nötigen Veränderungen im Land anzustossen, teilte Regierungschef Dmitri Medwedew in Moskau mit.
Putin dankte der Regierung für ihre Arbeit. Es könne aber nicht alles gelingen, sagte er nach einem Vier-Augen-Gespräch. Die Regierung bleibt demnach so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neues Kabinett steht.
Der 54 Jahre alte Medwedew war von 2008 bis 2012 Präsident Russlands. Danach übernahm der aus St. Petersburg stammende Jurist von Putin den Posten des Regierungschefs. Zudem ist er Vorsitzender der Kremlpartei Geeintes Russland. Dem Vernehmen nach soll Medwedew nun gemeinsam mit Putin den Sicherheitsrat leiten. In diesem Gremium werden für Russland dringende aussen- und sicherheitspolitische Fragen erörtert. Bei solchen Sitzungen sind unter anderem auch der Aussen- und Verteidigungsminister dabei.
Putins Wunschkandidat für die Nachfolge ist der Leiter der russischen Steuerbehörde, Michail Mischustin. Der 53 Jahre alte Wirtschaftsexperte aus Moskau steht seit 2010 an der Spitze der Behörde. Das Parlament muss Putins Vorschlag zwar noch bestätigen, das gilt aber als Formsache. Eine Treffen der Duma-Abgeordneten dazu ist nach Angaben der Staatsagentur Tass bereits am Donnerstag geplant. Mischustin könnte als eine Art Übergangspremier arbeiten. Politisch ist er bislang kaum in Erscheinung getreten.
Die Regierung stand wegen der Wirtschaftskrise im Land unter grossem Druck. Eine umstrittene Rentenreform hatte zudem in den vergangenen Jahren für grossen politischen Zündstoff gesorgt. Kremlchef Putin meinte dazu: «Nicht alles hat natürlich geklappt. Aber das funktioniert nie in vollem Umfang.» Medwedew selbst ist in Russland auch sehr unbeliebt. Seit 2017 gibt es immer wieder Proteste der Opposition, die sich besonders gegen seine Person richten. Der Kremlkritiker Alexej Nawalny hatte mit Recherchen über Korruption des Politikers berichtet und die Proteste angestossen.
Welche Auswirkungen diese Ankündigung auf die Zukunft Putins als Staatschef hat, ist unklar. In seiner Rede liess der 67-Jährige mit Vorschlägen für eine Verfassungsreform aufhorchen. Demnach will er per Volksabstimmung dem Parlament mehr Macht zukommen lassen. Konkret geht es darum, dass das Unterhaus, die Duma, künftig entscheiden soll, wer Ministerpräsident und dessen Stellvertreter werden. Auch über die einzelnen Minister soll das Parlament bestimmen. Bislang liegt all das in der Hand des Präsidenten.
Putin betonte, dass es in Russland weiterhin ein präsidiales System geben soll - der Staatschef hat somit die meisten Kompetenzen. Der Präsident müsse das Recht behalten, die Aufgaben und Prioritäten der Regierung zu bestimmen. Und er soll auch den Ministerpräsidenten und seine Minister entlassen können. Zudem behält er die «direkte Kontrolle» über das Militär, Polizei und die Geheimdienste.
Der Föderationsrat - das Oberhaus im Parlament - soll zudem mit dem Präsidenten festlegen, wer in den Regionen zum Staatsanwalt berufen wird. Nach demselben Schema sollen auch Richter entlassen werden können. Zudem soll der Staatsrat, in dem Spitzenpolitiker und Gouverneure sitzen, in der Verfassung verankert werden. Die Gouverneure sollen deutlich stärker in landesweite Entscheidungen eingebunden werden. Wie genau, liess Putin aber offen.
Bislang steht das Parlament Putin in seinen Vorhaben sehr loyal zur Seite, die Kremlpartei Geeintes Russland hält mehr als zwei Drittel der Abgeordnetensitze. Die restlichen Parteien stellen sich in der Regel nicht gegen den Willen des Kremls.
Noch immer vage bleibt Putin in der Frage, ob die Amtszeit von Präsidenten neu geregelt wird. Das ist wichtig, denn Putin kann nur noch bis 2024 das Land führen. Die aktuelle Verfassung schreibt vor, dass der Präsident nur zweimal hintereinander amtieren darf. Der 67-Jährige wurde im Mai 2018 wiedergewählt. Darüber gebe es «in der Gesellschaft» bereits Diskussionen, sagte Putin. «Ich halte das nicht für ausschlaggebend. Aber ich stimme dem zu.» Er vermied damit erneut eine klare Aussage zu seiner politischen Zukunft.
Putin führt Russland praktisch seit 20 Jahren - zunächst zwei Amtszeiten lang bis 2008 als Präsident. Danach wechselte er für vier Jahre ins Amt des Ministerpräsidenten. 2012 wurde er erneut zum Präsidenten gewählt - und Medwedew wurde Regierungschef.
Gleich nach der Rede gab es Spekulationen, ob Putin damit seinen politischen Abgang vorbereite oder weiter an der Macht bleibe könne. Denn wenn das Parlament über den Ministerpräsidenten entscheidet, könnte er erneut in dieses Amt wechseln. Putin machte auch klar, dass die Anforderungen an potenzielle Nachfolger ernster sein sollten und beschrieb, welche Voraussetzungen ein Nachfolger unter anderem erfüllen müsse. So sollten nur Russen kandidieren dürfen, die mindestens 25 Jahre im Land gelebt hätten und keine doppelte Staatsbürgerschaft besässen. Ein zu grosser Einfluss aus dem Ausland soll somit vermieden werden. Russland sei «reif» für solche Entscheidungen, betonte Putin am Ende seiner mehr als einer Stunde dauernden Rede.