Tausende Migranten überqueren den Ärmelkanal

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Frankreich,

Immer mehr Migranten wagen die heimliche Reise über den Ärmelkanal von Frankreich nach Grossbritannien. Der Strom der Menschen könnte zur Belastungsprobe für das Verhältnis beider Länder werden.

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Eine Gruppe von mutmasslichen Migranten überquert den Ärmelkanal in einem kleinen Boot. - dpa/Gareth Fuller

Das Wichtigste in Kürze

  • Kurz nach Sonnenaufgang erscheint am Horizont ein kleines Boot mit einem Motorschaden.

17 Migranten, darunter Kinder und eine Schwangere, kauern in dem von Wellen hin- und hergeworfenen Bötchen im Ärmelkanal.

Sie seien aus dem Irak und wollten die englische Küste erreichen, berichten die erschöpften Menschen der Besatzung eines Fischkutters, der zu Hilfe geeilt ist.

In diesem Jahr haben bereits etwa 5000 Menschen den Meeresarm zwischen Frankreich und Grossbritannien überquert - ein trauriger Rekord. Im ganzen Jahr 2018 erreichten hingegen nur knapp 300 Flüchtlinge und andere Migranten die englische Küste, 2019 waren es schon mehr als 1800. Auch die Zahl der Kinder, darunter Babys, nimmt den Behörden zufolge zu. London erhöht nun deutlich den Druck auf Paris, schärfer die Schleuser-Kriminalität zu bekämpfen.

Die britische Innenministerin Priti Patel verurteilte solche Überquerungen des Ärmelkanals, der an der engsten Stelle nur etwa 35 Kilometer breit ist und von vielen grossen Schiffen befahren wird, als «gefährlich und illegal». «Ich weiss, was die Briten meinen, wenn sie sagen, sie wollen die Kontrolle über ihre Grenzen zurück - sie meinen genau das», twitterte Patel im bösen Ton, nachdem 235 Menschen an einem einzigen Tag versucht hatten, die englische Küste zu erreichen.

Damit soll nun Schluss sein. Ihr Ministerium zog sogar den Einsatz von Kriegsschiffen in Erwägung - eine Idee, die Insider im britischen Verteidigungsministerium für «vollkommen plemplem» halten. In Gesprächen mit Parteikollegen behaupte Hardlinerin Patel, dass sich viele der Migranten in Frankreich rassistisch verfolgt fühlten.

In Frankreich hält man herzlich wenig von dieser Idee. «Wenn man die Armee einsetzt, bedeutet das, dass man sich in einer Kriegssituation befindet», sagte die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, der Zeitung «La Voix du Nord». Vielen dürfte der «Dschungel von Calais» noch ein Begriff sein - dort hausten vor der Räumung im Jahr 2016 bis zu 8000 Migranten unter unwürdigen Bedingungen.

Doch mit der Räumung der Zeltstadt sind die Migranten nicht verschwunden. Viele leben in der Gegend der französischen Hafenstadt in behelfsmässigen Lagern, werden immer wieder verjagt. Die konservative Bürgermeisterin macht die Briten für die aktuelle Situation verantwortlich. Diese sollten ihrer Meinung nach besser gegen die Schwarzarbeit in ihrem Land vorgehen.

Patel schickte Staatssekretär Chris Philp nach Paris, damit der dort die Sache klären sollte. Der Migrantenstrom, so Philp, sei auch deshalb «inakzeptabel, weil Frankreich ein sicheres Land ist». Vom Meer und von der Luft aus soll der Ärmelkanal künftig stärker beobachtet werden. Was London und Paris aber genau ausgekungelt haben, wurde nicht mitgeteilt. Auch dazu, was Frankreich von den britischen Plänen hält, äusserte sich das französische Innenministerium auf Nachfrage nicht.

In der Präfektur von Calais sieht man die guten Wetterbedingungen als einen Grund für die vermehrten Überfahrten. «Täglich werden Sicherheitsoperationen auf See durchgeführt, um den Männern, Frauen und Kindern, die diese gefährliche Überfahrt versuchen, zu helfen», so die Verwaltungsbehörde. Sie gibt an, dass jede zweite Abfahrt verhindert werde - obwohl sich die Versuche seit Anfang 2020 verdoppelt hätten. Die Ordnungskräfte seien mit Drohnen, Nachtsichtferngläsern, Wärmekameras oder Infrarotbrillen im Einsatz, die Zahl der Patrouillen sei deutlich erhöht worden.

Frankreichs Innenministerium nimmt auch die Anwohnerinnen und Anwohner in die Pflicht. Jeder, so heisst es, solle auf ungewöhnliches Verhalten an der Küste und auf See achten. Das seien zum Beispiel im Sand versteckte Schwimmwesten. Wer ein Boot besitzt, solle dies ausreichend sichern. Frankreich ist verpflichtet, Schleuser und Migranten an der Überfahrt nach Grossbritannien zu hindern, London unterstützt das finanziell.

Nicht immer sind bei den Überfahrten Schleuser im Spiel; manche versuchen es auf eigene Faust, etwa mit Kajaks oder als Taucher mit Spezialantrieb. Einem jungen Mann aus dem Sudan kostete das kürzlich das Leben. Er hatte mit einem Teenager ein Gummiboot gestohlen und Schaufeln als Paddel benutzt. Mit einer der Schaufeln stachen sie Ermittlern zufolge versehentlich ein Loch in das Boot und kenterten. Den Mann fand man tot an der französischen Küste, sein jugendlicher Begleiter konnte sich an den Strand retten.

Fast alle Migranten geben an, aus besonders armen Ländern und politischen Konfliktregionen zu kommen - etwa aus dem Iran, dem Irak, aus Syrien, Äthiopien, dem Sudan oder dem Jemen. Viele von ihnen beantragen Asyl. Seitdem im vergangenen Jahr 39 Vietnamesen qualvoll in einem gekühlten Lastwagen starben, wurden die Kontrollen in den Häfen verschärft. Auch das hat Experten zufolge die illegalen Überquerungen des Ärmelkanals in kleinen Booten in die Höhe getrieben.

Noch schwieriger könnte die Lage für Grossbritannien werden, wenn die Brexit-Übergangsphase Ende des Jahres endet. Nach einem Bericht des «Guardian» hat London bei der jüngsten Verhandlungsrunde über ein Anschlussabkommen mit der Europäischen Union einen neuen Migrationspakt ins Spiel gebracht. Damit hätte sich London das Recht sichern wollen, viele Migranten zurückzuweisen. Doch das habe Brüssel klar abgelehnt.

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