Taxifahrer, Aussenminister - Joschka Fischer wird 75

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Deutschland,

Der amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Millionär könnte in Deutschland vom Taxifahrer zum Aussenminister lauten. Joschka Fischer hat ihn wahr gemacht. Der Grünen-Realo feiert seinen 75. Geburtstag.

Joschka Fischer (r) und Daniel Cohn-Bendit (l) sitzen bei der Landesdelegiertenversammlung der hessischen Grünen im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim.
Joschka Fischer (r) und Daniel Cohn-Bendit (l) sitzen bei der Landesdelegiertenversammlung der hessischen Grünen im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. - Frank Kleefeldt/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Manche Sätze in der Politik haben einen langen Nachhall.

«Excuse me, I am not convinced», hält ein erregter Joschka Fischer im Februar 2003 bei der Münchner Sicherheitskonferenz Donald Rumsfeld entgegen. Es geht um die Frage, ob gegen den angeblich Chemiewaffen besitzenden Irak und seinen Diktator Saddam Hussein nur noch ein Krieg als Mittel bleibt. Der US-Verteidigungsminister drängt, doch der deutsche Aussenminister ist nicht überzeugt («not convinced») und hält die Diplomatie für «mitnichten ausgeschöpft».

Diese Auseinandersetzung über Krieg und Frieden im Hotel Bayerischer Hof in München ist eine Art Schlüsselszene im politischen Leben von Joschka Fischer, der an diesem Mittwoch 75 Jahre alt wird. Eine andere erlebt er schon im Mai 1999 beim Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld zum Kosovo-Krieg. Hier steht Fischer auf der Seite derjenigen, die für einen Waffeneinsatz plädieren, also für ein militärisches Eingreifen der Nato unter Beteiligung der Bundeswehr.

In seiner pazifistisch ausgerichteten Partei ist diese Position hoch umstritten. Einer der zahlreichen Gegner schleudert einen Farbbeutel auf den Aussenminister und trifft ihn am rechten Ohr. Fischer ist nicht nur mit roter Farbe bespritzt, er trägt auch einen Riss des Trommelfells davon. Die Bilder vom Parteitag 1999 sind bis heute präsent – so wie auch der Satz von der Sicherheitskonferenz 2003.

Weiter Weg

Bis dahin hatte Fischer einen weiten Weg zurückgelegt. Er wird am 12. April 1948 in Gerabronn in Baden-Württemberg als Sohn eines Metzgers geboren. Das Gymnasium verlässt er schon in der 10. Klasse ohne Abschluss, eine Fotografenlehre bricht er ab. Fischer wird ab 1967 in der Studentenbewegung und in der Ausserparlamentarischen Opposition (APO) aktiv, siedelt nach Frankfurt/Main über. Dort besucht er an der Universität als Gasthörer Vorlesungen linker Vordenker wie Theodor Adorno, Jürgen Habermas und Oskar Negt. Seinen Lebensunterhalt verdient Fischer mit Gelegenheitsjobs, später als Taxifahrer.

In diesen aufgewühlten Jahren der Republik gründet er zusammen mit Daniel Cohn-Bendit die militante Gruppe Revolutionärer Kampf, nimmt auch an Strassenkämpfen und Hausbesetzungen teil. «Ich habe auch mal hingelangt», bekennt Fischer später. 2001 holen ihn Fotos aus seiner Strassenkampfzeit ein, er muss sich erklären.

Doch der RAF-Terrorismus lässt den Sponti umdenken. 1982 tritt Fischer bei den Grünen ein. Schon ein Jahr später wird der Realo in den Bundestag gewählt. Nur zwei Jahre lang gehört er der ersten Grünen-Bundestagsfraktion an – die Rotationsregeln sind noch streng.

Doch die nächste Aufgabe wartet schon. In Hessen bilden 1985 SPD und Grüne die erste rot-grüne Koalition Deutschlands. Fischer wird bundesweit erster Grünen-Minister, zuständig für Umwelt und Energie. In Jeans und weissen Turnschuhen schreitet er damals im Landtag zur Vereidigung – noch so ein Bild mit Ewigkeitscharakter. Die Koalition zerbricht 1987, erlebt aber 1991 eine Neuauflage, erneut mit Fischer als Umweltminister. 1994 wechselt er wieder in den Bundestag.

Und dann Aussenminister

Seine grosse Stunde kommt 1998 mit dem rot-grünen Sieg bei der Bundestagswahl. Kanzler Schröder ernennt Fischer zum Aussenminister und Vizekanzler, was er bis zum Scheitern von Rot-Grün bei der Bundestagswahl 2005 bleibt. Seiner eigenen Partei, insbesondere ihrem linken Flügel, macht er es in dieser Zeit nicht leicht. Doch als Fischer 2006 sein Bundestagsmandat aufgibt und sich aus der Politik zurückzieht, verlieren die Grünen ihre langjährige Führungsfigur, einen brillanten Kopf und exzellenten Redner.

So wandlungsfähig wie in der Politik ist Fischer auch im Privaten. Davon zeugen fünf Ehen ebenso wie der Kampf gegen seine Leibesfülle. Seine 112 Kilo im Sommer 1996 bringt er durch intensives Joggen in gut einem Jahr auf 75 Kilo runter. Auch bei den vielen Auslandsreisen fällt der Sport nicht flach – da führt die Laufstrecke auch schon mal um die Pyramiden von Gizeh.

Zu einer Rückkehr in die Politik kommt es nicht. Fischer übernimmt eine Gastprofessur an der Princeton University, gründet eine Beraterfirma, hält Vorträge und schreibt Bücher sowie Gastbeiträge für Zeitungen. In einem Buchtitel greift er 2011 seinen Beitrag bei der Münchner Sicherheitskonferenz wieder auf: «I am not convinced».

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