Trotz angekündigter Neuwahl weitere Proteste in Beirut geplant
Libanons Regierungschef kündigte nach teilweise gewaltsamen Protesten vorgezogene Neuwahlen an. Dennoch sind weitere Proteste geplant.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach der Explosion in Beirut kommt es immer wieder zu Protesten.
- Auch nach der Ankündigung von Neuwahlen sind Demonstrationen geplant.
Nach der Explosionskatastrophe in Beirut wird auch die Wut der Libanesen auf ihre politische Führung zunehmend explosiver. Nach teilweise gewaltsamen Protesten kündigte Regierungschef Hassan Diab am Samstagabend vorgezogene Neuwahlen an, am Sonntag reichte Informationsministerin Manal Abdel Samad als erstes Kabinettsmitglied ihren Rücktritt ein. Dennoch sind für Sonntag weitere Proteste geplant. Unterdessen berät eine internationale Geberkonferenz über humanitäre Nothilfen für das krisengeschüttelte Land.
Tausende wütende Menschen waren am Samstag durch die Strassen der libanesischen Hauptstadt marschiert. Sie besetzten das Energie- und das Wirtschaftsministerium und legten Feuer am Sitz des Bankenverbands, bevor sie von der Armee zurückgedrängt wurden. Von ehemaligen Militärs angeführte Demonstranten besetzten stundenlang das Aussenministerium und riefen es zum «Hauptquartier der Revolution» aus. Bei Zusammenstössen am Rande der Kundgebungen wurde ein Polizist getötet, mehr als 230 Menschen wurden verletzt.
Viele Libanesen, die der politischen Elite schon seit langem Korruption und Unfähigkeit vorwerfen, machen die Regierung für die verheerenden Explosionen am Dienstag verantwortlich. Nach Regierungsangaben waren dabei 2750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die jahrelang ungesichert in einer Halle im Hafen lagerten.
Mindestens 158 Menschen durch Explosionen ums Leben gekommen
Die insgesamt zwei Explosionen, die einen 43 Meter tiefen Krater in den Boden rissen, richteten in der Hauptstadt schwere Zerstörungen an. Mindestens 158 Menschen wurden Behördenangaben zufolge getötet, 21 weitere wurden noch vermisst. Mehr als 6000 Menschen wurden verletzt und hunderttausende obdachlos. Auslöser war vermutlich ein Feuer in dem Lager. 21 mutmasslich Verantwortliche, vor allem Hafen-Mitarbeiter, wurden festgenommen.
Der Libanon steckt schon seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise, die durch die Corona-Pandemie noch verschärft wurde. Nach den verheerenden Explosionen wirkten Behörden und Regierung komplett überfordert, die Aufräumarbeiten und Hilfen für Opfer übernahmen die Beiruter meist in Eigeninitiative.
Das Angebot von Regierungschef Diab, seinem Kabinett am Montag Neuwahlen vorzuschlagen, konnte die Beiruter nicht besänftigen. Sie wollen, dass die gesamte politische Elite abtritt, der sie vorwerfen, eher am konfessionellen Proporz und ihren persönlichen Vorteilen interessiert zu sein als an der Lösung der Krise im Land.
«Wir können es nicht mehr ertragen. Wir werden als Geiseln gehalten, wir können das Land nicht verlassen, wir können unser Geld nicht von den Banken abheben. Die Menschen hungern, es gibt mehr als zwei Millionen Arbeitslose», beklagte am Samstag die Demonstrantin Médéa Azoury. «Und jetzt ist Beirut durch Fahrlässigkeit und Korruption vollständig zerstört worden.»
Aufrufe zu weiteren Massenprotesten
Im Internet kursierten Aufrufe zu weiteren Massenprotesten am Sonntagnachmittag. «Bereitet die Galgen vor, denn unsere Wut endet nicht nach einem Tag», hiess es in einer Botschaft. Etwa für die gleiche Zeit richten Frankreich und die UNO eine internationale Geberkonferenz aus, um Spenden für die humanitäre Nothilfe in dem ehemaligen Bürgerkriegsland zu sammeln. An der Videokonferenz will auch US-Präsident Donald Trump teilnehmen.
Frankreich richtete bereits eine Seebrücke ein, um 18 Tonnen Medikamente und fast 700 Tonnen Lebensmittel nach Beirut zu bringen. Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) kündigte eine deutsche Soforthilfe in Höhe von zehn Millionen Euro an.
Gleichzeitig mahnte Maas Reformen im Libanon an. Das Land habe bereits vor der Katastrophe «vor überwältigenden Herausforderungen» gestanden. «Ohne dringend benötigte Reformen kann es weder nachhaltigen Wandel noch Stabilität geben.»
Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte, die Hilfen sollten direkt an die Bevölkerung und Nichtregierungsorganisationen gehen und nicht «an die Korruption». Er könne einem System keine «Blankoschecks ausstellen, das nicht mehr das Vertrauen seiner Bevölkerung» geniesse.