«Trussian Roulette»: Neue Premier schon schwer angezählt
Wenn es nach den Kritiken geht, ist Liz Truss bereits gescheitert. Kaum im Amt, hat die britische Premierministerin mit ihren Wirtschaftsplänen die eigene Konservative Partei gespalten, die Finanzmärkte ins Chaos gestürzt und international für Entsetzen gesorgt.
«Wie man ein Land nicht führt», titelte die Londoner Wirtschaftszeitschrift «Economist» und zeigte Truss und ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng in einem sinkenden Ruderboot. Wenige Tage vor dem Tory-Parteitag, eigentlich als erster Höhepunkt ihrer jungen Amtszeit vorgesehen, ist Truss bereits schwer angezählt.
«Wenn sie sich an den Parteitag wendet, wird Truss um ihr politisches Überleben kämpfen», urteilt der Politologe Mark Garnett. Wegen der «kühnen» Wirtschaftspläne - so das Selbstlob der Regierung - hätten die Konservativen ihren Ruf für wirtschaftliche Kompetenz verloren. Umfragen bestätigen das. Die angekündigte grösste Steuerreform seit 50 Jahren sei ein «Trussian Roulette», lästert so mancher in London.
Skepsis gegenüber der Massnahmen
Denn die Pläne sind nicht gegenfinanziert. Die Regierung vertraut darauf, dass die Massnahmen die Wirtschaft so stark ankurbeln, dass die Staatseinnahmen steigen. Der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU und das Weisse Haus sind skeptisch, und der Markt reagierte ebenfalls anders gedacht. Am Mittwoch musste die Zentralbank kurzfristig einspringen und den Kauf von Staatspapieren mit langer Laufzeit bekanntgeben. Das kostet rund 65 Milliarden Pfund (72,7 Mrd Euro). Zuvor war das Pfund abgestürzt, die Zinsen von langlaufenden britischen Staatsanleihen legten erheblich zu.
Dass die ersten Tage für Truss schwierig werden würden, war absehbar. Die hohe Inflation mit rasant steigenden Energie- und Lebensmittelkosten, ein marodes Gesundheitssystem, der russische Krieg gegen die Ukraine - das waren nur ein paar der erheblichen Probleme, denen die Nachfolgerin von Boris Johnson von Tag eins an gegenüberstand. Doch mit ihren Steuerankündigungen hat Truss ein weiteres Problem selbst verschuldet - und gleichzeitig der Opposition mächtig Anlass für Spott gegeben. Die neue Regierung sei ein «Kabinett der Untalentierten», sagte Angela Rayner, Vizechefin der Labour-Partei, die nun mehr denn je auf einen Wahlsieg 2024 hoffen darf. «Ich dachte, die Clowns seien aus dem Zirkus geflohen.»
Statt in die Offensive zu gehen, tauchte die Regierungschefin über Tage ab. «Liz Truss hat sich als der grösste Feigling erwiesen, der jemals Premierministerin geworden ist», ätzte Kolumnist Nick Cohen in der Zeitschrift «Spectator», so etwas wie das Hausblatt der Tories.
Truss meldet sich zu Wort
Als sich Truss am Donnerstagmorgen doch wieder zu Wort meldete, gelang ihr kein Befreiungsschlag. In einem Interview-Marathon mit BBC-Lokalsendern betonte die 47-Jährige vor allem die getroffenen Massnahmen für niedrigere Energiekosten - doch die wurde schon vor den Steuersenkungen, die den Finanzmarkt ins Chaos stürzten, beschlossen. Dass sie zudem behauptete, eine Familie werde maximal 2500 Pfund für Strom und Gas im Jahr zahlen, ist schlichtweg falsch. Die Interviews seien eine «völlige Katastrophe», twitterte Dan Hodges, Journalist bei der den Tories eigentlich zugeneigten Zeitung «Daily Mail».
Immer deutlicher wird für viele Analysten, dass Truss' Politik eines Wachstums auf Pump vor allem auf Ideologie basiert. Wer die Vorhaben kritisiert, wird von ihren Unterstützern als «woke» attackiert, dem Kampfbegriff der konservativen Rechten, der alles umfasst, was in ihren Augen zu links und zu liberal ist. Dazu zählt für Vertraute wie den Ex-Brexit-Minister David Frost auch der IWF. Doch bei weitem nicht alle Konservativen folgen diesem Kurs. Prägnanter als die meisten machte der Tory-Abgeordnete Julian Smith seinem Entsetzen über die Sichtweise Luft: «Arghhhhhhhhhhhhhhhhh», twitterte er.
Die Kluft in der Partei werde sich nun noch verstärken, meint Experte Garnett. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur verwies der Autor, der mehrere Bücher über die Tories geschrieben hat, darauf, dass Truss in der Fraktion nie einen Rückhalt hatte. Die «Sunday Times»-Reporterin Hannah Al-Othman zitierte einen Tory-Abgeordneten mit den Worten, Truss sei an Weihnachten weg - es klappe nur nicht früher, weil die Fraktion nicht wisse, wer sie ersetzen solle.
Viele Optionen hat die Premierministerin nach nicht einmal vier Wochen im Amt nicht mehr. «Es gibt nichts mehr zu diskutieren», twitterte «Daily Mail»-Mann Hodges. «Entweder ändert sie den Kurs oder sie wird politisch hinweggespült.»