Ukrainische Flugabwehr in der Schnellausbildung
In einigen Wochen sollen Soldaten aus der Ukraine in Deutschland den Umgang mit westlicher Flugabwehr erlernen. Das Training ist eine Umschulung, kein Neustart.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ausbildung ukrainischer Soldaten am Flugabwehrsystem Patriot in Deutschland kommt nach Einschätzung der Luftwaffe zügig voran.
Die Ukrainer seien hochmotiviert und oft schon im Einsatz erfahren, so dass es «schneller geht als erwartet», sagte der Kommandeur des deutschen Ausbildungsverbandes am Mittwoch. Der Lehrgang für etwa 70 Männer, die aus den Kämpfen nach Deutschland gebracht wurden, läuft seit etwa zwei Wochen an einem Bundeswehrstandort, der aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden soll.
Patriot («Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target») zählt zu den modernsten Flugabwehrsystemen der Welt. Damit können feindliche Flugzeuge, ballistische Raketen und Marschflugkörper bekämpft werden. Auf eine Entfernung von etwa 100 Kilometern und bis in Höhen von 30 Kilometern können die Abwehrraketen in einer gedachten Glocke um die Stellung Ziele treffen – abhängig vom eingesetzten Lenkflugkörper. Deutschland hatte sich zusammen mit den USA bereiterklärt, der Ukraine jeweils ein System der modernen Flugabwehr zur Verteidigung gegen russische Angriffe zu überlassen, die verstärkt auf die zivile Infrastruktur des Landes zielen.
Die Ukrainer werden in Deutschland in drei Aufgaben trainiert. Sie erlernen die Arbeit im Feuerleitstand, beim praktischen Betrieb der Startgeräte – wie die mobilen Abschussanlagen genannt werden – sowie in der Wartung und Instandsetzung des Waffensystems.
Ukrainer bringen Erfahrung mit
«Unsere Brigade ist eine Kampfbrigade und wir haben Erfahrung im Gefecht», sagte ein ukrainischer Offizier am Mittwoch auf dem Bundeswehrgelände. «Unser Verband hat bereits mehr als 200 Ziele abgeschossen», sagte er. Hauptwaffe ist demnach bisher das in Sowjetzeiten entwickelte Flugabwehrsystem S-300, dessen Fähigkeiten und Grenzen dem russischen Gegner genau bekannt sind. Patriot kann auch zur Abwehr von taktischen, ballistischen Raketen eingesetzt werden, was mit S-300 so nicht möglich ist.
Der ukrainische Soldat war zuletzt in der Region seiner Heimatstadt Dnipro eingesetzt, wo Mitte Januar nur 800 Meter von seinem Haus eine russische Rakete verheerend in einem bewohnten Hochhaus eingeschlagen war, wie er schildert. Für die ukrainische Luftabwehr sind dies schwarze Stunden, «ein komplexes, dunkles Gefühl» wenn der Angreifer die Abwehr überwinde, sagt der 40-Jährige. Es sei dann klar, dass Menschen sterben oder Infrastruktur zerstört werde. Es müsse aber kein menschliches Versagen im Spiel sein. Vielfach komme die Luftabwehr technisch an Grenzen.
Die Ukrainer lernen in Deutschland sechs Tage in der Woche. Auf dem Gelände laufen die Waffensysteme im Übungsbetrieb. Lastwagen mit angebautem Kran heben zur Übung schwankende Wassereimer, Generatoren laufen, Hydraulikpumpen surren. In einige Wochen lernen die Männer, Frauen sind nicht darunter, was für Bundeswehrsoldaten sonst auf Monate angelegt ist. «Die Motivation ist hoch, weil jeder weiss, worum es geht», sagt ein deutscher Offizier.
«Gamechanger» in der Abwehr
«Patriot ist das stärkste System zur Abwehr taktischer, ballistischer Raketen. Dafür ist das System optimiert», sagt der Ausbildungsleiter. Ein anderer Offizier spricht von einem «gamechanger» – einer Waffe, die die Regeln auf dem Gefechtsfeld zu Gunsten der Ukrainer verändert – weil sie weiter und schneller schiesst als bisher vorhandene Systeme. Die Bundeswehr selbst hat 12 Patriot-Systeme, davon sind 3 in Polen im Einsatz und 2 in der Slowakei. Mehrere werden derzeit von der Industrie modernisiert. Es handelt sich um ein knappes Gut. Im Kalten Krieg hatte die Bundeswehr selbst noch 36 der Systeme.
Die Startstationen sind auf grosse, vierachsige MAN-Lastwagen montiert. Sie bestehen aus bis zu vier Kanistern. Das sind lange Kisten, in denen die Raketen stecken. Zum System gehören auch der Feuerleitstand, das Radar und ein grosser Generator – von den Soldaten als «Dreigestirn» bezeichnet. Das System stuft Flugobjekte am Himmel in die Kategorien Freund und Feind ein. Im Bedrohungsfall feuern Soldaten im Leitstand die Lenkflugkörper ab, um die Objekte der Angreifer unschädlich zu machen. Überwacht werden können nach früheren Angaben gleichzeitig bis zu 50 mögliche Ziele, aktiv bekämpft bis zu fünf.
Die Patriot-Raketen wirken im Verbund mit anderen Systemen. Vereinfacht kann man sagen, dass ein wie von Deutschland bereitgestelltes System für den Schutz einer mittelgrossen Stadt ausreicht. Sobald die mobile Anlage an ihrem Zielort ist, kann binnen Minuten Einsatzbereitschaft hergestellt werden. Auf dem «Marsch» zum Einsatzort ist sie allerdings auch besonders verwundbar.