Umstrittene Tierversuche für Corona-Impfstoffe unverzichtbar
Mit Bildern von leidenden Hunden oder Affen machen Aktivisten gegen Tierversuche mobil. Doch gerade in der Corona-Krise bekommen die Tierschützer Gegenwind. Wissenschaftler sagen: Einen Impfstoff ohne Tierversuche wird es nicht geben.
Das Wichtigste in Kürze
- Erst vor wenigen Monaten demonstrierten in Hamburg bis zu 15.000 Menschen gegen Tierversuche.
Ähnliche Kundgebungen dürfte es zum Tag des Versuchstiers an diesem Freitag (24. April) kaum geben, allein schon wegen der Einschränkung der Versammlungsfreiheit in der Corona-Krise.
Fast alle Menschen wünschen sich möglichst schnell ein Mittel, das die Pandemie beenden kann. Doch Impfstoffe werde es ohne Tierversuche nicht geben, geben Wissenschaftler zu bedenken.
«Der Medizin ist es gelungen, erfolgreiche Impfungen zum Beispiel gegen Kinderlähmung, Mumps oder eben die Grippe zu entwickeln. Bei Covid-19 ist aber noch erheblicher medizinischer und wissenschaftlicher Fortschritt nötig», erklärt der Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen, der Göttinger Neurowissenschaftler und Biologe Stefan Treue. Verantwortungsbewusste Tierversuche seien unverzichtbar. «Das ist weltweiter Konsens in Forschung und Gesetzgebung.» Hinter der Initiative stehen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland von den Helmholtz- und Fraunhofer-Gesellschaften bis zur Leopoldina.
Tierversuche sind in Deutschland streng geregelt. Sie würden nur unternommen, wenn keine Alternativmethoden verfügbar seien, sagt ein Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Viele Alternativmethoden basierten auf Zellkulturverfahren, bei denen Zellen von Tier oder Mensch in der Petrischale kultiviert werden. So könnten etwa über den sogenannten Monozyten-Aktivierungstest fiebererregende Stoffe in Arzneimitteln nachgewiesen werden, ohne auf Versuche an Tieren zurückgreifen zu müssen.
Eine weitere Möglichkeit seien dreidimensional wachsende Zellkulturen, mit deren Hilfe komplexe Gewebestrukturen nachgebaut werden können. «Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist die künstlich hergestellte menschliche Haut, bei der bestimmte Wirkungen von Chemikalien wie Hautreizung verlässlich getestet werden können», sagt der BfR-Sprecher. Relativ neu seien Versuche, verschiedene Organsysteme des menschlichen Körpers auf sogenannten Chips (Organ-on-a-chip) nachzubilden und miteinander zu vernetzen.
Die Organisation Ärzte gegen Tierversuche hält Medikamententests an Tieren grundsätzlich für falsch. «Eine schnelle und zuverlässige Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen mit Tierversuchen ist nachweislich nicht möglich», erklärt Sprecherin Gaby Neumann. Trotzdem werde aktuell versucht, passende Tiermodelle für die Sars-CoV-2-Forschung zu finden oder herzustellen. «Die aktuelle Corona-Krise zeigt mehr als deutlich, welch grosser Fehler es in der Vergangenheit war, tierversuchsfreie, humanbasierte Forschungsmethoden wie menschliche 3D-Lungenmodelle und Multi-Organ-Chips nicht ausreichend zu fördern.»
Treue von Tierversuche verstehen sagt dazu: «Natürlich nutzt die Forschung auch alle verfügbaren tierversuchsfreien Methoden - aber weder mit einer Petrischale noch einem Organ-on-a-chip oder Computermodell alleine werden wir komplexe Viruserkrankungen, Krebs oder Alzheimer besiegen können.»
Mehr als 80 Prozent der gut zwei Millionen Versuchstiere, die in Deutschland 2018 verwendet wurden, waren Ratten oder Mäuse, wie aus Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hervorgeht. Bei der Entwicklung eines Mittels gegen das Coronavirus kommen nach Angaben von Treue vor allem Mäuse zum Einsatz. «Aber auch Studien an anderen Tierarten wie zum Beispiel Affen sind dafür unumgänglich», sagt Treue, der das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen leitet. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten hält Versuche mit Makaken wie Rhesusaffen «in sehr, sehr limitierter Art und Weise» für sinnvoll, weil das Immunsystem dieser Tiere dem des Menschen ähnlicher sei. Versuche mit Menschenaffen sind in Deutschland verboten.
Der Protest der Tierschützer hatte sich Ende vergangenen Jahres gegen das private Tierversuchslabor LPT mit Standorten in Hamburg und im angrenzenden Niedersachsen gerichtet. Heimlich gemachte Aufnahmen von schreienden Affen und blutverschmierten Hunden hatten für Empörung gesorgt. Die Behörden entzogen dem Unternehmen die Erlaubnis zur Tierhaltung. Die Staatsanwaltschaft Stade ermittelt wegen Verstosses gegen das Tierschutzgesetz.
Zu den Protesten hatte die Soko Tierschutz aufgerufen, die ein Ende aller Tierversuche fordert. Auch jetzt in der Corona-Krise bleibe der Verein bei seiner Haltung, sagt Sprecher Friedrich Mülln. Allerdings erkennt Mülln an, dass es nun eine Notsituation gebe und die Wissenschaft nicht ad hoc auf Tierversuche verzichten könne. «Wenn man bei 300 Kilometern pro Stunde eine Vollbremsung macht, wird das nicht gut ausgehen», sagt er. Es räche sich nun, dass Alternativmethoden nicht genug gefördert worden seien.