Virologe Streeck plädiert für «mehr Mut» im Sommer
Wenn es doch nicht rasch klappt mit einem Impfstoff, gilt es zunächst weiter mit dem Coronavirus zu leben. Dafür ist es günstig, wenn möglichst viele Menschen bereits immun gegen den Erreger sind. Der Sommer biete da eine Chance, vermutet der Virologe Hendrik Streeck.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie sieht der Virologe Hendrik Streeck eine Chance während der Sommermonate.
Es könne möglicherweise eine Teilimmunität in der Bevölkerung aufgebaut werden, die dann den weiteren Verlauf der Pandemie abschwäche, sagte der Bonner Professor der Deutschen Presse-Agentur. «Wir sollten uns über den Sommer ein bisschen mehr Mut erlauben», so Streeck. Derzeit zeigten Studien, dass bis zu 81 Prozent der Infektionen asymptomatisch verliefen. Das heisst, die Infizierten haben keine oder kaum Symptome. «Die Zahl der Covid-19-Erkrankten auf den Intensivstationen ist derzeit rückläufig», sagte Streeck. «Es besteht eine Chance, dass wir über den Sommer die Anzahl der Personen mit Teilimmunität erhöhen können.» Die Hoffnung auf einen Impfstoff könne sich als trügerisch erweisen. Also solle man sich darauf einstellen, mit dem Virus zu leben. «Was wir sehen ist, dass auch Menschen mit asymptomatischen Verläufen eine Immunität oder Teilimmunität aufbauen», erläuterte Streeck. «Wir wissen noch nicht, ob es eine schützende Immunität ist, aber sie bauen zumindest Antikörper gegen das Virus auf, und da kann man davon ausgehen, dass das zumindest einen Teilschutz ergibt. Wenn wir jetzt während der Sommermonate solche Infektionen zulassen, dann bauen wir eine schleichende Immunität in der Gesellschaft auf, die dann am Ende diejenigen schützt, die auch einen schwereren Verlauf haben können.» Für interessant halte er auch, dass die Kitas in den Niederlanden schon vor fünf Wochen geöffnet hätten und dies nicht zu grösseren Ausbrüchen geführt habe. Man müsse also durch die Öffnung von Kitas und Schulen offenbar keine Verschärfung der Pandemie befürchten. Streeck erläuterte auch weitere Ergebnisse aus seiner «Heinsberg-Studie», die zusammen mit Hygienikern der Uniklinik Bonn unter der Leitung von Ricarda Schmithausen erarbeitet wurden. Demnach erbrachte die Auswertung von Proben aus Quarantäne-Haushalten im Ort Gangelt, in dem sich das Coronavirus nach einer Karnevalssitzung im Frühjahr schnell ausgebreitet hatte, dass Oberflächen bei der Übertragung offenbar nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei Abstrichen von Oberflächen aus den Haushalten fand sich der Erreger demnach nur in 4 von 119 Proben. Streeck betonte allerdings, die Aussagekraft werde dadurch eingeschränkt, dass Menschen in Quarantäne häufig viel putzten. Deshalb seien die Ergebnisse möglicherweise nicht repräsentativ. Leichter werde das Virus anscheinend über Schmutzwasser-Rückstände im Waschbecken, in der Dusche oder in der Toilette verbreitet. «Dort hinterlässt man ja eher Spucke, Rachenwasser oder andere Ausscheidungen, in denen das Virus in grösserer Konzentration sein kann.» Dies könnte gegebenenfalls genutzt werden, um das Infektionsgeschehen über Abwasser-Analysen zu beobachten. 10 der 66 ausgewerteten Schmutzwasser-Proben aus Gangelt seien positiv gewesen, sagte Streeck. In der Luft fand sich der Erreger dagegen in keiner von 15 Proben. Für die Studie wurden 21 Quarantäne-Haushalte in Gangelt im Kreis Heinsberg untersucht. 26 der insgesamt 43 dort lebenden Erwachsenen waren positiv auf Corona getestet worden.