Wie Wagenknecht die Politik aufmischt

DPA
DPA

Deutschland,

Nach der Europawahl ist das Bündnis Sahra Wagenknecht beseelt vom ersten Erfolg. Ihre fünf bis sechs Prozent sind nicht die Welt. Aber das Ergebnis hat Folgen.

Sahra Wagenknecht
«Sahra Wagenknecht kennt jeder, das ist wirklich ungewöhnlich.» - Bernd von Jutrczenka/dpa

Aus dem Stand über fünf Prozent: Das erst im Januar gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht hat in seinem ersten bundesweiten Test bei der Europawahl einen beachtlichen Erfolg eingefahren. «Wir werden die Politik in Deutschland verändern», rief Wagenknecht am Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Berlin. Davon ist die kleine Partei zwar noch weit entfernt. Doch könnte das BSW das politische Gefüge tatsächlich in Wallung bringen.

Da die Wagenknecht-Partei in Ostdeutschland besonders viel Anklang findet, könnte sie bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September ein Machtfaktor werden. Dort könnten erstmals Koalitionen getestet werden. Der nächste Halt ist dann die Bundestagswahl. Wagenknecht punktet teils zulasten der AfD, vor allem aber zulasten ihrer früheren Partei Die Linke, die sie im Oktober im Streit verliess. Die kämpft nun nach einem Europaergebnis von unter drei Prozent ernsthaft ums Überleben.

Warum das BSW erfolgreich ist

«Das BSW hat eine Leerstelle besetzt: eine links gerichtete Sozialpolitik und eine rechts gerichtete gesellschaftliche Politik», sagt der Potsdamer Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek, der sich das BSW in mehreren Analysen angeschaut hat. Zum Beispiel streitet das BSW für höhere Renten und mehr Mindestlohn, bremst aber beim Klimaschutz und der Aufnahme von Geflüchteten. Für Deutschland ist diese Mischung neu.

Hinzu komme der populistische Ansatz, sagt Thomeczek. Er meint damit Wagenknechts Rhetorik als vermeintliche Anwältin der kleinen Leute gegen die «da oben». Sie nennt vor allem die Ampel-Parteien wahlweise gefährlich, dumm, verlogen oder heuchlerisch. Im Osten kommt das besonders gut an: Hochrechnungen zufolge kam das BSW in Ostdeutschland auf mehr als 13 Prozent der Stimmen.

Wie Wagenknecht dominiert

Beispiellos ist aus Sicht des Forschers aber die Personalisierung der neuen Partei. «Sahra Wagenknecht kennt jeder, das ist wirklich ungewöhnlich», sagt Thomeczek. «Sie polarisiert, sie hat viele Kritiker, aber eben auch viele Fans.» Inhaltliche Positionen der Partei bestimmt im Wesentlichen sie – ihr «Gegenprogramm» zur etablierten Politik steht in ihrem Bestseller «Die Selbstgerechten» von 2021.

Andere BSW-Spitzenkräfte – darunter die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, Generalsekretär Christian Leye oder die Europa-Spitzenkandidaten Fabio De Masi und Thomas Geisel – verblassen hinter ihr. Auf Wahlplakaten zur Europawahl prangte überall die Parteigründerin selbst, obwohl sie gar nicht antrat. Die Gefahr für das BSW: «Sollte sie aus irgendeinem Grund nicht mehr dabei sein, dann wird es die Partei keinesfalls in den Bundestag schaffen», meint Thomeczek.

Was im Wahlkampf zog

Nichts mobilisierte im BSW-Wahlkampf so wie das Thema Krieg und Frieden. Das sei ihren Anhängern sehr wichtig, sagt Wagenknecht. «Sie machen sich zu recht grosse Sorgen, dass aus dem Ukraine-Krieg ein grosser europäischer Krieg wird und sie wünschen sich, dass nicht immer nur auf Waffen und die militärische Karte gesetzt wird.» Wagenknecht fordert Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, warnt vor Waffenlieferungen an die Ukraine, streut Zweifel an USA und Nato.

Ihren Unterstützern spricht sie damit aus dem Herzen. «Das ist die einzig wählbare Partei», sagte ein Arzt im Publikum der BSW-Schlusskundgebung in Berlin am Donnerstag. Und seine Begleiterin: «Wir sind so nahe am dritten Weltkrieg wie noch nie.» Beide zeigten sich sicher, dass Putin auch legitime Sicherheitsinteressen verfolge, dass der Westen am Krieg in der Ukraine mit schuld sei und ihn unnötig in die Länge ziehe. Wer nicht AfD wählen will, findet sich mit solchen Positionen nur beim BSW.

Wem das BSW Stimmen abjagt

Politikwissenschaftler Thomeczek stellt in einer Analyse inhaltlicher Positionen fest, dass die Wagenknecht-Partei am Potenzial der AfD knabbert. Mit der Rechtspartei teilt das BSW nicht nur Positionen zum Ukraine-Krieg und zur Migration, sondern auch die populistische Niedergangsrhetorik und Elitenkritik. Aber: «Unter den etablierten Parteien bieten die Wähler der Linken das grösste Potenzial» für das BSW, schliesst Thomeczek in dem noch unveröffentlichten Papier.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Es zeige sich, dass das BSW eine bisher vakante Position im deutschen Parteiensystem besetzen könnte und besonders unter bisherigen Wählern der Linken und der AfD beliebt sei, heisst es darin. Nach ersten Analysen zu Wählerwanderungen erhielt das BSW aber auch eine halbe Million Stimmen von früheren SPD-Anhängern und mehr als 400'000 von der Linken.

Warum die Linke zittern muss

Die Linke ist also Wählerreservoir für Wagenknecht, obwohl die sich weit von ihrer ehemaligen Partei entfernt hat. Die Linke hat immerhin noch mehr als 50'000 Mitglieder – im Vergleich zu etwa 650 beim BSW. Aber in der ersten Reihe fehlen Promis. Der Bundesvorsitzende und Europa-Spitzenkandidat Martin Schirdewan und seine Co-Chefin Janine Wissler sind bei weitem nicht so bekannt wie Wagenknecht.

Das Politik-Konzept ist völlig anders: Nicht eine Figur dominiert alles, sondern viele sagen vieles. Oft sind die Forderungen recht konkret – vom Ende der Schuldenbremse über einen höheren Mindestlohn, Preisdeckel für Lebensmittel bis hin zur Döner-Preisbremse. Nur dringen sie kaum durch.

Am Ende standen am Sonntag knapp drei Prozent Stimmenanteil und ein frustrierter Schirdewan. Es hörte sich hilflos an, als er sagte, dies sei «kein Abend, um den Kopf in den Sand zu stecken». Die Partei werde vor der Bundestagswahl strukturell und programmatisch nacharbeiten und sich «auch personell für die Zukunft aufstellen». Es dürfte ihre letzte Chance sein.

Kommentare

User #4698 (nicht angemeldet)

Wagenknecht ist gescheit. Ihre Ansicht zum Ukraine-Krieg ist von Vernunft und Diplomatie geprägt.

User #4879 (nicht angemeldet)

Als Person finde ich die Frau gut, weil sie mit Worten umgehen kann. Das reicht aber nicht, ich würde ihr und ihrer Partei niemals meine Stimme geben.

Weiterlesen

2 Interaktionen

Mehr in News

Mehr aus Deutschland