Wird Nachhaltigkeit beim Einkaufen wichtiger?
Satte Rabatte vor Weihnachten: Zum «Black Friday» hofft der Handel wieder auf viel Umsatz. Andere rufen den «Kauf-nix-Tag» aus. Wie entscheiden sich die Verbraucher?
Das Wichtigste in Kürze
- Dieses Kleid! Und die Stiefel erst! Und dennoch: Wenn Anna Schunck einen Schaufensterbummel macht, belässt sie es oft beim Gucken.
Früher sei das anders gewesen, sagt die 38-Jährige. Da sei sie sogar in Mittagspausen losgegangen, um ein Outfit für den Abend zu kaufen.
«Den Wandel ausgemacht hat, glaube ich, ein Zu-Viel-Gefühl.» Inzwischen bloggt Schunck über Nachhaltigkeit und hält wegen des Klimawandels «Verzicht für alle» für geboten. Selbstkasteiung sei dabei nicht der Weg. Sie kaufe auch ab und an etwas, möglichst gebraucht, sagt sie vor dem Kauf-nix-Tag am 30. November.
Aufruf zum Konsumverzicht
Die Idee des symbolischen Konsumverzichts kam von einem kanadischen Künstler. Teils wird der Tag schon am 29. November begangen - parallel zum «Black Friday», dem Start ins Vorweihnachtsgeschäft mit satten Rabatten.
Braucht es den Aufruf zum bewussteren Konsum noch? In der Umfrage «Wissenschaftsbarometer 2019» stimmten 81 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Konsumeinschränkungen aller für den Erhalt der Umwelt nötig seien. Eine Berliner Bio-Supermarktkette warb mit dem Slogan «Kauf weniger». Und in sozialen Medien zeigen viele Menschen einen konsumkritischen oder gar minimalistischen Lebensstil.
«Wir sind irgendwo in einer Gesellschaft angekommen, die schon jenseits des Massenkonsums ist», sagte der Soziologe Heiko Schrader von der Universität Halle dem MDR. Die Leute hinterfragten, zumindest in bestimmten Schichten, «ob weiterer Konsum glücklich macht und dann eben, ob nachhaltige Produkte gehen». Eine Umfrage im Hinblick auf Weihnachten zeigte aber auch, dass bei den Geschenken keine Einschnitte zu erwarten sind: Die Verbraucher beabsichtigen, fast genauso viel auszugeben wie im Rekordjahr 2018: im Schnitt 281 Euro (Vorjahr: 282 Euro).
Doch Konsumlust statt Konsumverzicht also? Ingo Balderjahn, der an der Universität Potsdam über ethischen Konsum forscht, sagt, es gebe durchaus eine zunehmende Tendenz bei der Anzahl der freiwillig genügsamen Konsumenten - Menschen also, die trotz hohen Einkommens relativ wenig konsumieren. Etwa 15 Prozent der Deutschen zählten zu dieser Gruppe. Es gebe aber auch das entgegengesetzte Extrem: Menschen mit deutlich überdurchschnittlichem Konsum. Dieser sei oft stark vom Streben nach sozialer Anerkennung geprägt: Autos, hochwertige Elektronikartikel, generell «Produkte zum Angeben und Prahlen» würden angeschafft.
Glücksgefühl beim Kaufakt
Oft stehe hinter Käufen das Streben, etwas angeblich ganz Besonderes zu einem unglaublich günstigen Preis bekommen zu haben, sagt Balderjahn. «Für Schnäppchenjäger zählt häufig nicht der Besitz eines Produkts, sondern der Kaufakt an sich.» Anreize dafür weiss längst nicht nur der stationäre Handel zu setzen: In einer beliebten, stark auf Bilder setzenden Shopping-App etwa wird so gut wie jeder Artikel als stark reduziert angepriesen: minus 81, 86 oder gar 91 Prozent, abzüglich weiterer 10 Prozent mit Rabattcode.
«Das sind impulsive Entscheidungen in der aktuellen Reizsituation», erklärt Balderjahn dazu, warum Menschen bei solchen Angeboten zuschlagen. Teils bietet die Shopping-App Dinge, von denen man nicht ahnte, dass sie existieren: neonfarbene Beleuchtung für die Toilettenschüssel oder eine Maschine für Omelette-Röllchen etwa. Angesichts geringer Kosten nähmen die Käufer das Risiko in Kauf, dass die Billigware direkt im Müll landet. Ressourceneinsatz, Aufwand für Herstellung und Transport sowie Kohlendioxidausstoss - am Ende für die Tonne.
Das grosse Wegwerfen betrifft aber längst nicht mehr nur die Flut immer neuer sinnloser Billigprodukte. Selbst Dinge, die anders als etwa Kugelschreiber nicht von Beginn an als Wegwerfware konzipiert sind, seien heute eher kurzlebig, erläutert Wolfgang König in seinem Buch «Geschichte der Wegwerfgesellschaft». Die Lebensdauer eines einfachen Herrenschuhs etwa werde inzwischen auf ein Jahr geschätzt, die eines Damenschuhs sei noch kürzer. Und das bei 300 Millionen Paar verkauften Schuhen in Deutschland pro Jahr.