Queloz: Pandemie zeigt Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Die Pandemie zeigt, wie weit sich Wissenschaft und Gesellschaft voneinander entfernt haben. Das sagt der Exoplanetenforscher Didier Queloz. Wenige Tage vor einem Gipfel für Wissenschaft und Diplomatie in Genf ruft der Physik-Nobelpreisträger dazu auf, die beiden Bereiche einander näher zu bringen.
Das Wichtigste in Kürze
- «Die Wissenschaft ist für die Gesellschaft unverzichtbar, das beginnt bereits beim Frühstück», sagte der ETH-Professor in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA: «Niemand ist sich dessen bewusst.» Vor einigen Jahrzehnten sei dies noch weniger der Fall gewesen, konstatiert er nur wenige Tage vor Beginn des ersten Gipfels der Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator» (Gesda) in Genf.
Diese von der Schweiz, dem Kanton und der Stadt Genf lancierte Initiative hat zum Ziel, die Auswirkungen und Dynamik wissenschaftlicher Fortschritte der kommenden Jahrzehnte zu antizipieren, um deren Potential für das globale Wohlergehen zu nutzen.
Didier Queloz, der am Samstag die Abschlussrede des Gipfels halten wird, begrüsst diesen Ansatz. Er bedauert aber, dass er von «Eliten» vorangetrieben werde, die nicht ausreichend im Dialog mit der Bevölkerung ständen. Die Gesda, die den Puls der Bevölkerung beruhend auf 11 Millionen Social-Media-Beiträgen gefühlt hat, möchte denn auch rasch Bürgerinnen und Bürger weltweit in die Diskussionen mit einbeziehen.
Nach Ansicht des Genfer Nobelpreisträgers zeigt die Pandemie deutlich, wie notwendig Wissenschaft ist. «Wie kann es sein, dass 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer nicht geimpft werden wollen?», fragt Queloz und fügt hinzu: «Wir haben den Kontakt zur Gesellschaft verloren.» So nimmt er die Wissenschafts-Community in die Pflicht, die es bisher nicht geschafft habe, die Menschen mit ihren Erklärungen zu erreichen. In diesem Sinne sei es wichtig, besser zu verstehen, wie die Bevölkerung psychologisch und sozial ticke.
Ebenfalls muss seiner Ansicht nach die Welt der Wissenschaft bei den Parlamentariern oder Regierenden besser vertreten sein.
Auch die Medien verschont Queloz nicht. Er sagt, dass er gerne einmal auf einer Titelseite lesen möchte, was genau eine Boten-RNA sei und wie die auf der mRNA-Technologie basierenden Impfstoffe funktionierten.
Es mangle den Medien an Fachwissen. In einem Land wie der Schweiz, wo sich die Bevölkerung regelmässig mit Abstimmungen an der Politik beteiligt, sei dies folgenschwer. Das gelte angesichts der globalen Herausforderungen, mit denen sich die Welt konfrontiert sehe und von denen die Pandemie nur ein kleines Problem sei, umso mehr.
Als Beispiel nennt er den Klimawandel, der das Engagement aller erfordere. «Seit mehr als 30 Jahren warnt uns die Wissenschaft. Und wir wissen, was wir tun müssen, nämlich die CO2-Emissionen reduzieren», sagt der Spitzenforscher. «Aber ich sehe nicht, wie wir einen signifikanten Anstieg des Meeresspiegels abwenden werden.»
Queloz avancierte seit der Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2019 zu einem «Rockstar der Wissenschaft». Er wurde gemeinsam mit seinem Kollegen und Doktorvater Michel Mayor sowie dem Kanadier James Peebles geehrt. Die beiden Schweizer Forscher entdeckten 1995 den ersten Planeten («51 Pegasi b») ausserhalb des Sonnensystems, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist. Der 55-jährige Astrophysiker stellt allerdings fest, dass der Nobelpreis im Kontrast zur kollektiven Arbeit stehe, die zu wissenschaftlichen Ergebnissen führe.
Queloz sagt, dass man nach dieser Auszeichnung «zu einer Art Botschafter der Wissenschaft» werde, welche er als eine Möglichkeit bezeichnet, um die aus beobachteten Tatsachen entsprungene Neugierde zu «organisieren».
Seine Rolle als Botschafter beansprucht Zeit auf Kosten der eigenen Forschungstätigkeit. Aber durch sie erhielt er die Verantwortung, die nächste Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen.
In diesem Zusammenhang zeigt er sich besorgt über die für Schweizer Forschende «dramatischen Auswirkungen», die mit der Blockade zwischen Brüssel und Bern bezüglich des institutionellen Abkommens einhergehen. Die Schweiz besitzt derzeit nur den Status eines nicht-assoziierten Drittstaates beim europäischen Forschungsprogramm rogramm EuropeEurope, wodurch Schweizer Forschende in der Regel keine Finanzierung mehr durch die EU erhalten und von gewissen Förderprogrammen ausgeschlossen sind.
Hinsichtlich des Wunschs der Schweiz nach einem «perfekten» Arrangement stellt Queloz fest, dass es den Briten gelungen sei, trotz ihres Austritts aus der EU eine Lösung diesbezüglich zu finden. Er prangert den Kreuzzug gewisser politischer Gruppierungen hierzulande gegen die EU an, der den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und letztlich auch der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz schade.
In seiner neuen Tätigkeit an der ETH Zürich will der Nobelpreisträger einen weiteren Mangel bekämpfen, der Forschungsmöglichkeiten verhindert - nämlich die fehlende Verknüpfung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. So möchte er die Astrophysik, Chemie und Biologie vernetzen, um das Rätsel zum Ursprung des Lebens zu knacken.
«Eines Tages werden wir im Labor Leben erschaffen», sagt er. Darüber könne man sich zwar Sorgen machen. Aber man müsse es mit den Möglichkeiten der Selbstzerstörung vergleichen, die Menschen bereits heute besitzen würden. Es hänge immer davon ab, wie die Gesellschaft die Wissenschaft nutze - das habe die Entwicklung der Atombombe zur Zeit des Zweiten Weltkriegs vor Augen geführt. Schlussendlich sei es nicht die Wissenschaft, die entscheide, betonte er.
Mit Blick auf die Zukunft identifiziert Didier Queloz das Verständnis des Bewusstseins als eine enorme Herausforderung. Denn dies erfordere sowohl die Expertisen der Chemie und Physik, aber auch psychologische Ansätze sowie die Künstliche Intelligenz (KI). Diese Aufgabe überlasse er allerdings «der nächsten Generation von Wissenschaftlern».
Über hundert Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Diplomatie und Forschung werden von Donnerstag bis Samstag in Genf zum ersten Gesda-Gipfel erwartet. Unter ihnen befinden sich Staatssekretärin Martina Hirayama, Alondra Nelson, wissenschaftliche Beraterin von US-Präsident Joe Biden, und Soumya Swaminathan, leitende Wissenschaftlerin der Weltgesundheitsorganisation (WHO).