Welche Rolle spielen die Aerosole bei der Corona-Übertragung?
Das Wichtigste in Kürze
- Forscher streiten sich, welche Rolle die Aerosole bei einer Corona-Ansteckung spielen.
- In geschlossenen Räumen sei die Ansteckungsgefahr am grössten, da sind sich alle einig.
- Masken bieten einen grundlegenden Schutz gegen die Ausbreitung der Pandemie.
Virushaltige Partikel in der Luft, sogenannte Aerosole, spielen bei der Ansteckung mit dem Coronavirus eine Rolle. So lautet die inzwischen gängige Meinung. Doch wie gross diese Rolle ist, dazu gibt es in der Fachwelt unterschiedliche Ansichten.
Einig sind sich die Forscher darin, dass vor allem in geschlossenen Räumen die Ansteckungsgefahr am grössten ist.
Übertragungsrisiko sei nicht am höchsten
Mitte Juli veröffentlichten Forscher um Michael Klompas von der Harvard Medical School eine Analyse. In dieser kommen sie zu dem Schluss, dass die Virusübertragung mittels Aerosolen nicht der dominante Weg der Verbreitung sein könne.
Zum Beleg führen sie einen Vergleich an: Bei anderen Krankheiten wie Masern stecke ein Infizierter viel mehr Personen an als bei Sars-CoV-2. Bei diesen Krankheiten weiss man, dass sie über Aerosole verbreitet werden. Die sogenannte Reproduktionszahl sei kleiner. Sie ist eher mit der von üblichen Grippeviren vergleichbar.
Durchdringen von Masken
Die Forscher mahnen an, auch andere mögliche Übertragungswege wie Schmierinfektionen nicht ausser Acht zu lassen. Wenn Aerosole der Hauptübertragungsweg wären, reichten Regeln wie zwei Meter Abstand oder die Maskenpflicht nicht aus, um Ansteckungen zu vermeiden. Denn anders als dicke Tropfen Schnodder oder Speichel sinken die Mini-Teilchen nicht recht schnell zu Boden. Sie durchdringen sogar medizinische Masken.
Der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, weist aber auf folgendes hin: Gerade die sehr kleinen Teilchen von unter 5 Mikrometern schweben stundenlang in der Luft. Sie könnten dann eingeatmet werden.
«Durch anschliessendes Niesen gelangen die Viren wieder in die Luft.» Er zählt sich zu einer Reihe von Wissenschaftlern, die die Ansteckung über Aerosole sogar für den wichtigsten Infektionsweg halten.
Singen in geschlossenen Räumen
Das Singen in geschlossenen Räumen könnte ein Beispiel dafür sein. Mehrere Fälle mit zahlreichen Infizierten in Chören sind schon dokumentiert worden. Auch Scheuch nutzt dieses Beispiel und erklärt, dass ein infizierter Sänger durch das Singen besonders viele Aerosole produziert:
Weil er sehr tief einatmet, werde die Produktion in der Lunge erhöht. Und durch die Vibration der Stimmbänder erfolge zusätzlich eine Aerosol-Produktion im oberen Bereich der Atemwege.
«Alle anderen Sänger atmen ja auch sehr tief ein. Sie bieten damit den Aerosol-Viren tolle Voraussetzungen ebenfalls tief in die Lunge eindringen zu können», formuliert er es.
Auch eine Studie mehrerer Forschungsinstitute zu den Ursprüngen des ersten Coronavirus-Ausbruchs beim Fleischfabrikanten Tönnies im Mai kommt zu folgendem Schluss: «Dass die Bedingungen des Zerlegebetriebs die Aerosolübertragung von Sars-CoV-2-Partikeln über grössere Entfernungen hinweg förderten». Die Bedingungen wären die niedrige Temperatur, eine geringe Frischluftzufuhr und eine konstante Luftumwälzung durch die Klimaanlage in der Halle.
Forscher aus der Schweiz kamen nach mathematischen Berechnungen zu folgendem Ergebnis: Das geschätzte Infektionsrisiko einer Person mit typischer Viruslast, die normal atmet, sei gering. «Nur wenige Menschen mit sehr hoher Viruslast stellten ein Infektionsrisiko in einer schlecht belüfteten geschlossenen Umgebung dar».
Maske tragen hilft
Alle gehen davon aus, dass es beim Eindämmen der Pandemie hilft, Mund und Nase zu bedecken. Und selbst in den Ausführungen von Klompas heisst es, medizinische Masken böten wahrscheinlich «einen gewissen Schutz» gegen Aerosole.