Liebe

Bremgarten: Egoismus versus Liebe als Tötungs-Motivation

Bei den möglichen Motiven für die Tötung eines behinderten Kleinkindes im Mai 2020 sind sich Verteidigung und Anklage in Bremgarten AG mehr als uneinig.

Bezirksgericht Bremgarten
Die Tötung eines behinderten Kleinkindes im Mai 2020 wird am Bezirksgericht Bremgarten verhandelt. Anklage und Verteidigung präsentierten diametral unterschiedliche Versionen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Eltern sind wegen der Tötung ihres behinderten Kindes 2020 vor Gericht.
  • Bei den Motiven wird von Liebe versus Egoismus gesprochen.
  • Das Urteil wird am Bezirksgericht Bremgarten AG am Freitag erwartet.

Vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG sind am Dienstag zwei völlig unterschiedliche Motivationen für die Tötung eines behinderten Kleinkindes im Mai 2020 erläutert worden. Die Anklägerin sprach von Egoismus und Skrupellosigkeit, die Verteidiger von Liebe und Ohnmacht.

Unbestritten ist: Am Abend des 6. Mai 2020 wurde in Hägglingen AG ein zerebral schwer behindertes dreijähriges Mädchen von seinen Eltern mit Ecstasy betäubt und anschliessend durch Bedecken der Atemwege erstickt.

Wie die heute 32-jährige Mutter und der 34-jährige Vater dazu kamen, die Tat zu verüben, dazu präsentierten Anklage und Verteidigung diametral unterschiedliche Versionen. Das Urteil wird am Freitag eröffnet.

Staatsanwältin geht von Egoismus aus

Für die Staatsanwältin war das Kind, das rund um die Uhr intensiv betreut werden musste, den Eltern lästig geworden, sie hätten es loswerden wollen. Dabei hätten sie aus krassem Egoismus gehandelt. Sie seien skrupellos und grausam vorgegangen.

Für das Kind hätte es durchaus die Möglichkeit zu Verbesserungen seines Zustands gegeben, so die Anklägerin. Die Eltern hätten aber manche Massnahmen nicht gewollt. Sie hätten es auch abgelehnt, das Kind in die Obhut von Fachkräften zu geben.

Aggressive Chats

Im Rahmen ihres Plädoyers präsentierte die Anklägerin Fotos eines lachenden Mädchens. Und sie zeigte Auszüge von aggressiven Chats und Abhörprotokolle von gehässigen Unterhaltungen der Eltern.

Die Staatsanwältin forderte eine Verurteilung wegen Mordes und Bestrafung mit je 18 Jahren Freiheitsentzug. Zudem seien die aus Deutschland stammenden Beschuldigten für je 15 Jahre des Landes zu verweisen.

Für die Verteidiger der Eltern bewiesen weder die Fotos noch die Chats oder Protokolle irgendetwas. Die Eltern hätten unter Stress gestanden, da komme es manchmal zu Ausfälligkeiten.

In der Familie habe es durchaus glückliche Momente gegeben. Die Fotos seien in solchen Augenblicken entstanden. Alle Eltern fotografierten ihre Kinder in glücklichen Momenten und nicht, wenn sie vor Schmerzen schrien oder Krämpfe erlitten.

Ärzte sahen dauerhaftes Leiden

Die Anklägerin habe in ihrer Präsentation ausgeblendet, was nicht in ihre Theorien passe. So habe sie etwa Aussagen der Ärzte verschwiegen, die für das Kind zwar kleine Fortschritte für möglich hielten – insgesamt aber werde es sein Leben lang von Schmerzen, Lähmungen und Krämpfen geplagt sein und rund um die Uhr Betreuung benötigen.

Angesichts der Leiden des Kindes, gegen die sie nichts hätten tun können, seien die Eltern verzweifelt. Schliesslich hätten sie beschlossen, ihr Kind zu erlösen. Sie hätten dies aus Liebe und aus Ohnmacht getan.

Eltern seelisch belastet

Sie seien weder egoistisch gewesen, noch seien sie skrupellos oder grausam vorgegangen. Von Mord könne keine Rede sein. Die Eltern hätten unter dem Einfluss einer lange gewachsenen, schweren seelischen Belastung gehandelt. Sie seien wegen Totschlags zu verurteilen. Angemessen sei jeweils eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Für das Besorgen des Ecstasy habe sich der Vater zudem der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht. Dafür sei eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen angezeigt. Im Hinblick auf das Freizügigkeitsabkommmen zwischen der Schweiz und Deutschland sei von Landesverweisen abzusehen.

Die Grossmutter des Kindes wird von der Staatsanwaltschaft der Gehilfenschaft zum Mord beschuldigt. Bestraft werden solle sie mit fünf Jahren Freiheitsentzug und 15 Jahren Landesverweis. Sie habe vom Plan gewusst und ihre Tochter und deren Freund darin bestärkt.

Aus Liebe gehandelt

Der Verteidiger der 52-Jährigen stellte dies in Abrede. Seine Mandantin habe zwar vom Tötungsplan gewusst, aber davon abgeraten. Sie sei vollumfänglich freizusprechen.

In ihren Schlussworten betonten die Eltern, sie hätten ihre Tochter aus Liebe von ihren Leiden erlöst. Die Mutter versicherte, ihre der Gehilfenschaft beschuldigte Mama habe nichts mit der Tat zu tun, sie sei dagegen gewesen. Der Vater sagte unter Tränen, er wolle «die Unterstellung aus der Welt schaffen», sie hätten «keine Lust auf unsere Tochter» gehabt und sie «aus der Welt haben» wollen.

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