Coronavirus: Darum sind die Schlachthöfe Hotspots
Mit dem Ausbruch des Coronavirus beim deutschen Fleischproduzenten Tönnies rücken die Schlachtbetriebe in den Fokus. Experten bestätigen ein erhöhtes Risiko.
Das Wichtigste in Kürze
- Weltweit kommt es in Schlachtbetrieben zu Corona-Ausbrüchen.
- Die Bedingungen in grossen Fleischproduktions-Hallen begünstigen die Ausbreitung.
- Die Schweizer Fleischproduzenten beschwichtigen – doch auch sie stehen in der Kritik.
Im Landkreis Gütersloh kämpfen die deutschen Behörden mit dem grössten Ausbruch seit der Eindämmung des Coronavirus. Doch der Grossausbruch bei Gütersloh war keinesfalls ein Einzelfall. Immer wieder kommt es dort, wo Fleisch verarbeitet wird, zu Ausbrüchen des Coronavirus.
Wie die «SonntagsZeitung» berichtet, kam es auch bei einem Fleischverarbeiter im Emmental bereits zu einem Ausbruch. Doch wieso ist immer wieder die Fleischproduktion betroffen?
China, USA, Europa – das Coronavirus steckt in den Schlachtbetrieben
Seit dem Tönnies-Skandal ist die Fleischverarbeitung im deutschsprachigen Raum in den Fokus gerückt. Doch die Problematik war bereits zuvor bekannt. Wie die «deutsche Welle» berichtet, steckten sich in Irland in 19 Fleischverarbeitungs-Betrieben 950 Arbeiter an. Im niederländischen Groenlo hatten sich es Ende Mai 20 Prozent der Belegschaft infiziert.
Auch in Spanien, Frankreich und den USA wurden lokale Ausbrüche in Schlachthöfen registriert. Selbst der Ausbruch in Peking wurde auf die Fleischverarbeitung zurückgeführt, die dort direkt im Grossmarkt statt auf einem Schlachthof geschieht. Die Datenlage ist eindeutig: In fleischverarbeitenden Grossbetrieben herrscht ein erhöhtes Risiko für Ausbrüche des Coronavirus.
Wohnbedingungen oder Fleischhallen-Klima?
Derzeit sind sich die Experten noch nicht restlos einig, was die Fleischbetriebe zu Problemzonen macht: Es kommen verschiedene Faktoren zusammen.
Das Schlachten von Tieren ist mittlerweile auch in der Schweiz ein industrieller Prozess. Permanent werden neue Tierkörper angeliefert, die von den Mitarbeitern teils in Fliessbandarbeit Schritt für Schritt zerlegt werden. Die Schlachthallen sind gross, die Mitarbeiter arbeiten eng aufeinander. Die Hallentemperatur beträgt gemäss dem Wissenschaftsmagazin «Quarks» rund 12 Grad.
Damit bieten die Hallen der Schlachtbetriebe ideale Bedingungen für das Coronavirus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeit körperlich anstrengend ist. Aufgrund einer erhöhten Atemfrequenz gibt ein infizierter Fleischarbeiter mehr Viren ab als beispielsweise eine Person mit Bürojob. Dass sich die Arbeiter aufgrund des Lärmpegels mit lauten Rufen verständigen, fördert die Viren-Ausbreitung weiter.
Die Obst- und Gemüseproduktion ist im Vergleich zur Fleischproduktion weniger gefährdet: Die Nahrungsmittel müssen während der Verarbeitung meist nicht gekühlt werden. Ausserdem sind die verarbeitenden Betriebe kleiner und die Verarbeitung erfordert weniger manuelle Eingriffe als beim Fleisch.
«Die Übertragung wird vereinfacht, wenn man eng aufeinander ist», sagte Marcel Salathé vergangene Woche bei «10vor10». Die Schutzkonzepte seien bei den Ausbrüchen ungenügend gewesen, so der Epidemiologe. Im Fall Tönnies sei besonders problematisch, dass die meist osteuropäischen Billigarbeitskräfte in prekären Wohnverhältnissen leben. Wer sich nicht am Arbeitsplatz ansteckt, tut dies in der überbelegten Wohnung.
Fleischverarbeitung in Sonderstellung
«Wir sind in der Schweiz schon besser aufgestellt», so Salathé. Auch der grösste Schweizer Fleischproduzent Bell beschwichtigt: «Wir haben in allen unseren Betrieben ein umfassendes Hygiene- und Schutzkonzept für unsere Mitarbeitenden eingeführt.» Genaue Angaben zu Corona-Fällen möchte Bell dennoch nicht machen: «Wir haben nur wenige Fälle.»
Angesichts des jetzt bekannt gewordenen Corona-Ausbruchs im Emmental sind jedoch Schweizer Schlachtbetriebe nicht frei von Kritik: Im vergangenen Januar veröffentlichte der Bund einen Bericht zu Tierschutz und Fleischkontrolle in Schweizer Schlachthöfen. Darin sehen die Verfasser Handlungsbedarf beim «Durchsetzen von Anforderungen an Lebensmittelhygiene und Infrastruktur»: Der Bund kreidet unzureichende Selbstkontrollen und ungenügende Ausbildung des Personals an.