Coronavirus: Masken-Offensive diskriminiert besonders Gehörlose
Das Wichtigste in Kürze
- Ab Montag stellt der Bund rund 40 Millionen Schutzmasken zur Verfügung.
- Eine Maske vor dem Gesicht hat grossen Einfluss auf unsere Fähigkeit zu kommunizieren.
- Bis zu 90 Prozent unserer Kommunikation läuft nonverbal ab.
Ab Montag macht der Bund über die Detailhändler rund 40 Millionen Schutzmasken verfügbar. Wo man keinen Abstand halten kann, wird Herr und Frau Schweizer zum Tragen von Mundschutzmasken geraten, zum Beispiel beim Coiffeur. Das verändert unsere Kommunikation erheblich - und erschwert den Alltag für Gehörlose extrem.
Nonverbale Kommunikation wegen Coronavirus eingeschränkt
Wir können nicht NICHT kommunizieren, lautet der erste Grundsatz der berühmten Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick. Denn ein Grossteil unserer Kommunikation ist nonverbal, also unbewusst und nicht-sprachlich.
Selbst wenn ein Mensch im Bus auf den Boden starrt und nicht spricht, vermittelt er eine Botschaft. Er kommuniziert mit seinen Mitmenschen - wahrscheinlich, dass er nicht mit ihnen sprechen will.
So übermitteln wir mit Gestik, Mimik, Körperbewegung und -haltung sowie Stimmeinsatz weitaus mehr Informationen als mit der Sprache: Nach Schätzungen kommunizieren Menschen zu rund 65 bis 90 Prozent nonverbal.
Ein Grossteil davon läuft über das Gesicht. Das Allensbach-Institut hat in einer Studie 2016 errechnet, dass rund 55 Prozent unserer Kommunikation durch Mimik oder Gestik erfolgt. Danach steuert der Tonfall noch 26 Prozent bei und nur 19 Prozent macht der Inhalt der Nachricht selber aus.
Wie Hunde ohne Schwänze
So sind mehr Missverständnisse im zukünftig maskierten Coronavirus-Alltag vorprogrammiert. Denn normalerweise sind wir uns gewohnt, das Gehörte anhand der Mimik unseres Gegenübers einzuordnen. Die Schutzmaske erschwert diesen Prozess, weil sie ein Grossteil unseres Gesichts verbirgt.
Die Masken werden eine Distanz zwischen uns kreieren, glaubt auch Dan Everett, Sprachwissenschaftler am Bentley College in Massachusetts. «Mit dem Gesicht verlieren wir das Zentrum unserer Kommunikation. Wir sind so ein bisschen wie Hunde ohne Schwänze», sagte er kürzlich zu der Nachrichtenagentur AP.
Gehörlose vor schwieriger Zeit
Vor eine grosse Herausforderung stellen die Schutzmasken auch die Gehörlosen-Gemeinde. Lippenlesen ist de facto unmöglich mit einem Mundschutz am Gegenüber.
«Es ist effektiv ein grosses Problem für uns in der aktuellen Situation», sagt Sandrine Burger vom Gehörlosenverbund Schweiz. «In der Migros oder der Apotheke gibt es keine Zeichensprache-Dolmetscher und Lippenlesen geht auch nicht. Die Gehörlosen sind alleine.»
Eine amerikanische Studentin hat darum eine Schutzmaske mit Sichtfenster entworfen. Das Sichtfenster besteht dabei meist aus Vinyl oder Klarsichtfolie und wird eingenäht oder eingeklebt.
«Leider gibt es heutzutage noch keine durchsichtigen Masken in der Schweiz», meint Burger enttäuscht. «Man kann im Internet solche Masken aus den USA bestellen, aber es braucht viel Zeit bis sie ankommen. Der Bundesrat müsste sich darum kümmern, so dass die Gehörlosen sich nicht selbst etwas basteln müssen.»