Coronavirus: Zahl der neuinfizierten Schüler nimmt stark zu
Sind Schüler die oft so dargestellten «Treiber der Pandemie»? Und wenn nicht, wieso spielen sie doch eine relevante Rolle bei der Verbreitung des Coronavirus?
Das Wichtigste in Kürze
- Kinder sind nicht Treiber der Pandemie, erklärt der deutsche Virologe Christian Drosten.
- Dennoch spielen sie in der aktuellen Situation eine relevante Rolle.
- Ältere Schüler sind epidemiologisch problematischer als junge.
- Die Schulen offenzuhalten geht auf Kosten härterer Massnahmen für Nicht-Schüler.
«Kinder sind keine Treiber der Pandemie» – «Schüler sind doch Treiber der Pandemie»: Seit Monaten streiten sich Epidemiologen, Politiker und Medien um die Rolle der Kinder bei der Ausbreitung des Coronavirus.
Die Konsequenzen dieser Diskussion sind tiefgreifend: Schlussendlich geht es darum, die Schulen offenzuhalten oder zu schliessen. Diese Woche räumte der deutsche Virologe Christian Drosten mit den Begrifflichkeiten auf.
Kinder sind nicht Treiber der Pandemie
Kinder sind keine Treiber der Pandemie – das erklärt der Drosten im Corona-Podcast des «NDR». Wichtig sei bei dieser Frage vor allem zu verstehen, was ein «Treiber» eigentlich ist.
Von «Treibern» wird gesprochen, wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe besonders stark zur Verbreitung des Virus in einer Epidemie beiträgt.
Kinder können tatsächlich Treiber einer Epidemie sein – dies sei beispielsweise der saisonalen Grippe der Fall: Erwachsene haben sich höchstwahrscheinlich bereits einmal im Leben mit dem Influenzavirus infiziert und besitzen damit eine gewisse Immunität. Dies ist bei Kleinkindern nicht der Fall. In einer Grippeepidemie sind kleinere Kinder daher überdurchschnittlich häufig betroffen. Damit geben sie das Virus auch proportional besonders häufig weiter – sie sind Epidemie-Treiber.
Beim Coronavirus sieht es völlig anders aus: Im Gegensatz zur Influenza ist keine Altersgruppe aufgrund früherer Erkrankungen gegen das Virus gewappnet. Anders als bei der Influenza seien Kinder daher nicht als «Treiber» zu definieren, schlussfolgert Drosten.
Mehr Infektionen mit dem Coronavirus bei Kindern
Kinder geben das Virus also nicht überproportional weiter – im Gegenteil: Kleinere Kinder scheinen einen gewissen Schutz gegen das Virus zu haben. Neue Zahlen aus Genf belegen, dass Kinder unter sechs seltener betroffen sind: Nur 14,8 Prozent der Kleinkinder haben sich bereits infiziert. Bei den Kindern im Schulalter sind es 21,8 Prozent, etwa gleich viele wie im Rest der Bevölkerung.
Nur, weil sich Kinder gleich häufig infizieren, bedeutet das nicht, dass Kinder auch gleich viele Personen anstecken wie Erwachsene. Oftmals haben Kinder einen milderen Krankheits-Verlauf. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass infizierte Kinder weniger andere Personen anstecken als Erwachsene.
Dennoch zeigt sich: Kinder haben einen immer grösseren Anteil am Infektionsgeschehen. Der Anteil von Kindern unter zehn Jahren an den Neuinfektionen ist seit Anfang Jahr von 1,2 auf 5,2 Prozent angestiegen. Auch der Anteil der 10- bis 19-Jährigen nimmt zu.
Inzwischen wurden wieder umfangreiche Massnahmen beschlossen. Diese schränken zahlreiche wichtige Infektionsherde ein, wie beispielsweise Veranstaltungen und Büros. Verschwinden mehr und mehr dieser üblichen Infektionsherde, werden die Schulen immer relevanter. Als zwar im Verhältnis wenig wichtiger, aber dafür noch wenig beschränkter Infektionsherd.
Schüler sind nicht gleich Schüler
Drosten kreidet an, dass in der Pandemie zu häufig zwischen schwarz und weiss unterschieden wird. Die Wissenschaft zeigt jedoch, dass nicht jeder Schüler gleich ist. Je älter Kinder werden, desto schwerer werden die Verläufe und desto stärker ist ihre Beteiligung am epidemiologischen Geschehen.
Die Frage ist also eher, ab welchem Schüler-Alter die Schulschliessung Sinn ergeben könnte. Gymnasiasten und Berufsschüler sind bereits nahe am Erwachsenenalter und verbreiten das Virus häufiger als kleinere Kinder: Die Studie aus Genf belegt, dass das Virus unter keiner Bevölkerungsgruppe weiter verbreitet ist als unter den 18- bis 24-Jährigen.
Wo schliesst man, wo lockert man?
Schlussendlich muss das Massnahmen-Paket insgesamt fähig sein, das epidemiologische Geschehen einzudämmen. Dabei kann man durchaus unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark beschränken. Angesichts dessen hält Christian Drosten Schulschliessungen auch nicht für unausweichlich: Werde das Leben der Erwachsenen auf Kosten der Kinder stärker eingeschränkt, sei dies aufgrund der Konsequenzen auf die Kinder-Psyche nachvollziehbar.
Geschlossen oder nicht – die Schulen bleiben ein wichtiger Pfeiler der Gesellschaft. Sollte sich die Lage weiter entspannen, seien dann auch die Schulen im Fokus, erklärt Epidemiologe Marcel Tanner gegenüber der «NZZ»: Zuerst könnte man an den Universitäten wieder einen beschränkten Präsenzunterricht erlauben und Schulschliessungen rückgängig machen.