Darum haben Franzosen eine so ausgeprägte Streik-Kultur

Heute fand in Frankreich erneut ein Streik statt – wie so oft. Christian Koller vom Schweizerischen Sozialarchiv erklärt die Streikfreude der Franzosen.

Frankreich Generalstreik
Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift «Generalstreik» in der Hand. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In Frankreich findet heute ein Generalstreik statt.
  • Generell lässt sich bei unserem Nachbarn eine grosse Streiklust beobachten.
  • Der Streik-Forscher Christian Koller sieht die Ursache in der Geschichte.

Heute Donnerstag fand in ganz Frankreich ein Generalstreik statt. Wenige Monate zuvor hielten die Gelbwesten das Land der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf Trab. Christian Koller vom Schweizerischen Sozialarchiv ist bewandert bei der Streik-Thematik und hat über Streiks publiziert.

«In der Tat hat Frankreich eine auch statistisch nachweisbare hohe Streikrate, während die Schweiz seit der Mitte des 20. Jahrhunderts im internationalen Vergleich zu den streikärmsten Ländern gehört», sagt der Geschichts-Professor.

Ein Jahr «Gelbwesten»-Proteste
Teilnehmer einer «Gelbwesten»-Demonstration marschieren durch Paris (Archivbild) - dpa

Die Gründe liegen in der Vergangenheit. Eine Ursache für die Streik-Liebe der Franzosen sind laut Koller mehrere, miteinander konkurrierende Gewerkschaftsverbände. Diese befeuerten die Streiktätigkeit.

Gleichzeitig wurde damit unklar, wer genau für welches Anliegen zuständig ist. Auf der anderen Seite Nutzen die Gewerkschaften Streiks auch, um sich zu profilieren. So sollen Mitglieder gewonnen werden.

«Frankreich hat generell eine relativ ausgeprägte Protestkultur», fügt Koller an. Diese reiche von zahlreichen Revolutionen und Revolten mit Barrikadenkämpfen – Stichwort Französische Revolution ab 1789 – bis heute, zu den Gelbwesten.

Schweizer waren auch streiklustig

Doch wer denkt, die Schweiz war schon immer Streik-faul, der irrt sich. «Bis in die späten 40er Jahre wurde in der Schweiz auch relativ häufig gestreikt.» Ein Eckpunkt ist etwa der Landesstreik von 1918. Doch gegen Ende der 50er Jahre ging die Streiklust «massiv zurück».

Christian Koller
Der Geschichtsprofessor Christian Koller ist Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs. - z.V.g.

Die Gründe dafür sind laut Koller einerseits die Gesamtarbeitsverträge, anderseits das Ideal des Arbeitsfriedens. Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer sahen sich diesem verpflichtet. Die GAVs untersagen zudem teilweise das Streiken.

Und: Die politischen Systeme beider Länder unterscheiden sich wesentlich. Während in der Schweiz die Gesellschaft auf die direkte Demokratie zurückgreifen kann, werden laut Koller im «stärker zentralistischen Frankreich die Politik und der Protest dann häufiger auf die Strassen getragen». Insbesondere auf die Pariser Strassen.

Streiktätigkeiten nehmen in der Schweiz wieder zu

Doch die Zeiten ändern sich in der Schweiz. «Seit den 90er Jahren sehen wir wieder eine leichte Zunahme der Streiktätigkeit, eine wieder positivere Bewertung des Streiks als Kampfmittel seitens der Gewerkschaften und natürlich mit den beiden Frauenstreiks von 1991 und 2019 zwei anderweitige Grossereignisse», so Koller.

strike for future Frauenstreik
Der Frauenstreik am 14. Juni mobilisierte in vielen Schweizer Städten rund 500'000 Menschen. - Keystone

In der Schweiz waren laut Koller übrigens 30 bis 50 Prozent der Streiks vollständig erfolgreich. «Diese Proportion hat sich während der letzten 140 Jahren erstaunlicherweise kaum verändert», sagt Koller. In der Schweiz lasse sich zudem kein volkswirtschaftlicher Schaden, gemessen am Wirtschaftswachstum, auf Streiks zurückführen.

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