Europa fürchtet Fentanyl-Welle – Schweizer wollen lieber Kokain
Fentanyl hat in den USA ganze Städte und sogar Staaten zugrunde gerichtet. Rollt nun auch auf die Schweiz die Welle zu?
Das Wichtigste in Kürze
- Fentanyl ist in den USA die häufigste Todesursache für unter 50-Jährige.
- Seit einiger Zeit gewinnt die Droge auch in Europa an Boden.
- Die Schweiz ist allerdings gut gegen eine Welle gewappnet.
Franz Zobel von der Sucht Schweiz wartet seit zehn Jahren auf die Verbreitung von Fentanyl in der Schweiz. «Aber die Droge ist hierzulande nie wirklich angekommen», sagt der Vizedirektor. «Zumindest nicht als organisiertes Angebot.» Die einzige Ausnahme seien gelegentliche Einzelbestellungen – meistens über das Darknet.
«Anfang der Überdosis-Epidemie in Nordamerika war die Angst gross», sagt Zobel. Schliesslich sei Fentanyl sehr potent, mache süchtig und sei nicht reguliert. Es gab eine schnelle Verbreitung der Droge in ganz Nordamerika, insbesondere in den USA.
Heute ist dort von einer Epidemie die Rede. Allein im Jahr 2023 fielen nach Schätzungen der Gesundheitsbehörde 81'000 Amerikaner der Droge zum Opfer. Das sind mehr Tote als in den Kriegen in Vietnam, Afghanistan und dem Irak zusammen. Für unter 50-jährige US-Amerikaner ist Fentanyl somit die häufigste Todesursache.
«Aber der Schwarzmarkt in den USA ist so weit von unserem entfernt, dass sich unsere frühen Sorgen als irrational erwiesen», sagt Zobel. Der Sucht-Experte ordnet ein: «Die amerikanische Drogenpolitik ist allgemein sehr schlecht. Da sind wir hundertmal besser mit unseren Behandlungs- und Schadenminderungsangeboten. Bei uns sollte die Situation nie so eskalieren, wir sind viel reaktiver und pragmatischer.»
Fentanyl-Welle beschäftigt Nachbarländer
Anders sieht die Lage in unseren Nachbarländern aus, beispielsweise in Deutschland. Dort bestehen Beweise dafür, dass andere Drogen mit Fentanyl gestreckt werden. Zuletzt veröffentliche die Aidshilfe eine Studie, bei der Strassen-Heroin auf den gefährlichen Wirkstoff getestet wurde – von 1401 Tests schlugen 50 an. Somit nehmen Anwender ohne ihr Wissen Fentanyl ein.
Aus diesem Grund wird auch in Ländern wie Österreich der Aufruf nach einem Ausbau von Präventions- und Therapieangeboten immer lauter. «Wir müssen uns vorbereiten», sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch im neuesten Drogenbericht. Im weiter entfernten Estland gibt es sogar bereits eine Fentanyl-Krise. Und in Irland sowie Grossbritannien kam es im letzten Jahr zu einem besorgniserregenden Anstieg von Überdosen durch Opioide.
So sagt auch Simona De Berardinis von der Eidgenössischen Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN): «Die Befürchtungen, dass eine Fentanyl-Welle Europa erreichen könnte, beschäftigt zurzeit viele Nachbarländer sowie die europäische Drogenbeobachtungsstation.»
Auch die EKSN beobachte die aktuelle Lage. Laut De Berardinis gibt es aber keine Anzeichen, dass auf dem Schwarzmarkt hierzulande mit Fentanyl gehandelt wird.
Drogen wie Kokain und Crack begehrter
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Schweiz völlig immun ist. «Natürlich gab es schon einzelne Fälle und es wird sicher auch noch mehr geben», so Zobel weiter.
«Doch die Schweiz befindet sich derzeit auch nicht in einer Heroin- und Opioid-Phase. Begehrter sind Drogen wie Kokain und Crack.» Somit werde es hierzulande «nicht unbedingt» zu einer Fentanyl-Welle kommen, sagt Zobel.
Zum Problem werden könnte der mögliche Rückgang der Heroin-Bestände. Vor allem aufgrund des Anbauverbotes von Schlafmohn der Taliban in Afghanistan. Die Opiumproduktion ist daraufhin drastisch eingebrochen und führte im vergangenen Jahr weltweit zu einem Rückgang von 74 Prozent.
«Die Frage, ob die Leute während möglicher Engpässe auf eine Alternative zurückgreifen, muss man bedenken», so Zobel. Wie zum Beispiel eben Fentanyl – oder Nitazene, eine neue Gruppe synthetischer Drogen, die 500-mal stärker als Morphin sind.
«Es gibt damit heute einen zusätzlichen Risikofaktor, dass mehr solcher Substanzen auf den Markt kommen», führt Zobel aus. «Es ist jedoch nicht sicher, dass es der Fall sein wird.»