Europawahl 2024: Das bedeutet Europas Rechtsrutsch für die Schweiz
Nach der Europawahl 2024 rutscht die EU-Politik nach rechts. Ein härterer Kurs gegen Flüchtlinge rückt ins Zentrum. Was das für die Schweiz heisst.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Wochenende fand die Europawahl 2024 statt.
- Das EU-Parlament rückt nach rechts – das hat Auswirkungen auf die Flüchtlingspolitik.
- Politologen erklären bei Nau.ch, was das für die Schweiz bedeutet.
Sie war die grösste Wahl der westlichen Welt: Rund 360 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus 27 EU-Staaten waren am Wochenende zur Europawahl 2024 gerufen. Und das Ergebnis zeigt einen deutlichen Rechtsruck im Europäischen Parlament.
Das Mitte-rechts-Bündnis EVP, das auch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt, geht als Sieger hervor. Damit bleiben die proeuropäischen Kräfte im Parlament in der Mehrheit. Aber: Auch euroskeptische Rechts-aussen-Parteien wie die AfD haben deutlich zugelegt.
«Das neu gewählte Europäische Parlament ist das am weitesten rechts stehende Europaparlament, das je gewählt wurde», sagt Silvana Tarlea zu Nau.ch. Sie ist Politikwissenschaftlerin am Institut für European Global Studies der Universität Basel und arbeitet im Fachbereich Politikwissenschaften in Basel.
Der Rechtsrutsch habe aber nicht erst mit der Europawahl 2024 begonnen, sondern sich in den letzten Jahren kontinuierlich verstärkt. «Diese Wahlen bedeuten eine deutliche Machtverschiebung weg vom ‹progressiven Europa›», zitiert Tarlea den Politikwissenschaftler Simon Hix. Es sei zu erwarten, dass dies Auswirkungen auf verschiedene Politikbereiche haben werde.
Rechtsradikale verstritten – ausser beim Thema Flüchtlinge
Experten sind nach der Europawahl 2024 sicher: Mit dem Rechtsrutsch im Parlament rückt auch die europäische Politik nach rechts. Insbesondere bei der Migrationspolitik.
Und das betrifft auch die Schweiz.
Jonathan Slapin ist Professor für europäische Politik an der Universität Zürich. «Es ist davon auszugehen, dass die europäische Migrationspolitik nun strenger wird», sagt er zu Nau.ch.
In diesem Themenbereich habe das Europäische Parlament nämlich einen Handlungsspielraum. «Und es ist eines der wenigen Themen, in denen sich die rechtsradikalen Parteien einig sind: Sie wollen weniger Flüchtlinge und weniger Migranten aus Drittstaaten.» Es sei gut möglich, dass ihnen die Volksparteien in diesen Punkten entgegenkommen.
Härtere EU-Asylpolitik führt zu weniger Flüchtlingen in der Schweiz
Würde bedeuten: mehr Grenzkontrollen an den EU-Aussengrenzen, mehr Mittel für die EU-Grenz- und Küstenwache Frontex. Eine Politik, die man auch in der Schweiz bemerken würde. «Wenn weniger Flüchtlinge in Italien oder Spanien ankämen, würden auch weniger in der Schweiz landen.»
Wie genau die neue Migrationspolitik der EU aussehen wird, steht noch nicht fest. «Die Auswirkungen dieser Wahl werden keine unmittelbare Umsetzung der Versprechen der Parteien bedeuten», sagt Silvana Tarlea von der Universität Basel. Die EVP hat zum Beispiel gefordert, die Zahl der Frontex-Mitarbeitenden zu verdreifachen.
Tarlea sagt: «Da die Schweiz Teil des Schengenraums ist, ist zu erwarten, dass eine mögliche neue Politikgestaltung die Schweiz direkt betreffen wird.»
Aber: «Es bleibt abzuwarten, wer Teil der EU-Kommission wird und ob und wie solche Versprechungen umgesetzt werden.»
Hierzu stelle sich die Frage, ob Ursula von der Leyen im Herbst wiedergewählt wird und welche Koalition sie eingeht. «Wahrscheinlich wird es eine grosse Koalition werden und sie wird Zugeständnisse machen müssen.»
SVP kann nach Europawahl 2024 jubeln – aber nur kurz
Und was bedeutet die Europawahl 2024 für die Schweizer Politik? Politologe Jonathan Slapin von der Universität Zürich sagt: «Die SVP kann sich insofern freuen, als dass ihre Meinungen künftig stärker in der EU vertreten sind.»
Allerdings nur bei Flüchtlingen und bei Drittstaaten. «Bei der Personenfreizügigkeit und Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums herrscht weit weniger Einigkeit.»
Gleiches gelte in der Verteidigungspolitik. Während die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Ukraine unterstützt, steht die AfD Russland nahe. «Insofern wird sich bei der Verteidigung wohl weniger ändern. Auch weil dort die Regierungen der jeweiligen Länder und nicht das EU-Parlament den Takt angeben.»
Für die Beziehungen zwischen der Schweiz und EU bleibe abzuwarten, ob Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin im Amt bleibt. «Momentan sieht es dafür gut aus», sagt er. «Bleibt sie im Amt, hätte das den Vorteil, dass die Verhandlungen nicht wieder von null begonnen werden müssen.»