Experte erklärt: Darum betrinken sich junge Frauen immer extremer
Das Rauschtrinken bei jungen Frauen hat stark zugenommen. Jugendpsychologe Allan Guggenbühl sieht keinen Grund zur Sorge, sondern eine zu enge Definition.
Das Wichtigste in Kürze
- Laut Sucht Schweiz hat das Rauschtrinken vor allem bei jungen Frauen stark zugenommen.
- Der Jugendpsychologe Allan Guggenbühl sieht darin kein Problem.
- Die Definition von Rauschtrinken sei einfach zu streng ausgelegt, sagt er zum Anstieg.
Während der Alkoholkonsum bei den Schweizern seit 2007 leicht zurückging, nahm das Rauschtrinken zu. Dies zeigt der am Dienstag veröffentlichte Bericht Schweizer Suchtpanorama 2020. Als Rauschtrinken gilt, wenn bei einer Gelegenheit Männer mehr als fünf Standardgläser und Frauen mehr als vier Gläser trinken. Dazu muss es mindestens einmal im Monat vorkommen.
Detaillierte Zahlen zeigen, dass dieser Anstieg in fast allen Altersklassen zu beobachten ist – bei jungen Frauen jedoch besonders markant. Der Anteil ist bei ihnen von 12 Prozent im Jahr 2007 auf 24 Prozent im Jahr 2017 angestiegen ist.
Zwei der Hauptgründe dieses Anstiegs bei Jugendlichen ortet Sucht Schweiz beim Preis und der ständigen Verfügbarkeit von Alkohol. Einen halben Liter Bier für weniger als 50 Rappen oder eine Flasche Wodka für zehn Franken sei aus Präventionssicht ein «No go». Verkaufsverbote im Kanton Waadt für Bier und Spirituosen ab 21 Uhr hätten die Zahl der Alkoholvergiftungen um 40 Prozent gesenkt.
Die Einführung neuer Produkte wie Light-Bier und aromatisierten Drinks sowie die gezielte Werbung an junge Frauen hätten auch zum starken Anstieg beigetragen.
«Das Problem ist die Definition»
«Gemäss meinem Eindruck haben die jungen Frauen in der Schweiz kein Problem mit dem Rauschtrinken», widerspricht Jugendpsychologe Allan Guggenbühl gegenüber Nau.ch. Die Definition des Rauschtrinkens ist vielleicht zu streng ausgelegt. «Was in den vier Gläsern drin ist, ist entscheidend. Bei vier Bier kann man nicht von Rauschtrinken reden – bei vier Gläser Hochprozentigem wohl eher.»
Es sei sinnvoller, die Definition am Empfinden und Verhalten der Betroffenen festzunageln. «Von Rausch ist die Rede, wenn jemand sinnlos herumtorkelt, laut wird und sich nicht unter Kontrolle hat.» Und das sei in der Schweiz unter den jungen Frauen kein weit verbreitetes Phänomen – anders als etwa in Grossbritannien. Mit dieser Definition würde ein Problem kreiert, wo keines sei.
Frauen gingen vermehrt zusammen in den Ausgang. Der Alkoholkonsum sein ein Teil der Ausgangskultur, vor allem in den Städten. Der gesteigerte Alkoholkonsum verdeutliche vor allem, dass die Frauen mehr am Nachtleben teilnehmen. Die Zahlen deuten auf eine Änderung des Ausgehverhaltens der jungen Frauen hin.
«Ganz andere Massnahmen nötig»
Sucht Schweiz fordert einen Mindestpreis für Alkohol sowie, dass Alkohol nicht mehr rund um die Uhr verfügbar sein soll. Da Guggenbühl das Problem als solches nicht sehe, hält er auch von den vorgeschlagenen Massnahmen nicht viel.
Falls sich das Problem des Rauschtrinkens in der Schweiz tatsächlich zeigen sollte, dann wären ganz andere Massnahmen gefragt. «Es ist aber nicht sinnvoll über die Lösung eines Problems zu diskutieren, solange dies nicht ein verbreitetes Problem ist.»