Experte will Buben zur Femizid-Prävention im Frust-Umgang schulen
In den letzten Tagen haben gleich vier Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen die Schweiz erschüttert. Experten ordnen die Vorfälle ein.
Das Wichtigste in Kürze
- In diesem Jahr haben sich in der Schweiz bereits 22 Femizide ereignet.
- Am Donnerstag starb eine Frau im Kanton Genf, zuvor gab es drei weitere Tötungsdelikte.
- Laut Experten herrscht in der Schweiz ein strukturelles Männergewalt-Problem.
Gleich vier Frauen und Mädchen sind in den vergangenen Tagen in der Schweiz gewaltsam umgekommen. Und es sind keine Ausnahmedelikte: In der Schweiz gab es 2021 bereits 22 Femizide.
Der letzte Vorfall ereignete sich erst am Donnerstag, als mutmasslich ein Mann seine 58-jährige Ehefrau in Vandoeuvres GE tötete. Dem gingen drei weitere tödliche Angriffe auf Frauen und Mädchen in Netstal GL, Zürich-Altstetten und Rapperswil SG voraus.
Experte fordert mehr Prävention und Opferschutz
Diese Tötungsdelikte sind Ausdruck des strukturellen Männergewalt-Problems, das auch in der Schweiz herrscht, wie Soziologe Ueli Mäder zu Nau.ch sagt: «Die Schweiz ist keine Insel. Gewalt hat stets mit Strukturen, mit Sozialisation und mit situativen Dynamiken zu tun.»
Dabei fliessen Faktoren wie beispielsweise Lohnunterschiede, kulturelle Gegensätze und «Macho-Gehabe» ein, so Mäder. «Täter haben oft eigene Gewalt erlebt. Das rechtfertigt nichts. Aber wie Eltern miteinander umgehen, das prägt Kinder.»
Laut Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern, verlieren viele Täter die Beherrschung, weil sie ihrem Frust nicht anders Ausdruck verleihen können. Da gelte es einerseits, die Kompetenzen von Männern zu stärken, erklärt er gegenüber Nau.ch: «Man sollte Jungen schon in der Schule beibringen, wie sie anders mit Frust umgehen können.»
Andererseits müsse der Opferschutz erhöht werden. «Man könnte Betroffenen einen Alarmknopf geben, den sie im Notfall drücken könnten, um die Polizei zu alarmieren, wenn der Partner schon früher gewalttätig geworden ist.» Eine andere Möglichkeit wäre der Einsatz von Elektronik, um den Aufenthalt des Gefährders zu überwachen und weitere Angriffe möglichst zu vermeiden.
In der Schweiz seien solche Mittel zwar bereits getestet worden, sie wurden bislang jedoch vor allem aus Kostengründen nicht eingeführt.
Statistik zu Femiziden fehlt
Es gibt keine Statistik dazu, wie oft es in den letzten Jahren zu Femiziden in der Schweiz gekommen ist. Die vier Fälle, die sich innert kürzester Zeit ereignet haben, lassen jedoch den Eindruck einer Häufung entstehen.
Das könnte auch mit dem von Medien nun öfter angewandten Begriff «Femizid» zu tun haben, mutmasst Journalistikprofessor Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.
«Der Begriff soll zu Recht Aufmerksamkeit wecken und verdeutlichen, dass es sich hier nicht einfach um private ‹Beziehungsdramen› handelt, sondern auch um ein strukturelles Problem, das öffentlich zu debattieren ist.»
Dieser Effekt der medialen Aufmerksamkeitserregung könne aber auch zu der Wahrnehmung führen, dass es zu einer Häufung solcher Fälle gekommen ist – selbst, wenn dem nicht so wäre.
Wyss begegnet dem Begriff «Femizid» mit ambivalenten Gefühlen. «Die Bezeichnung wirft ganz unterschiedliche Einzelfälle in einen Topf und pauschalisiert zu stark.»
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Brauchen Sie Hilfe?
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Rufen Sie in akuten Situationen die Polizei unter der Telefonnummer 117.