Fremde halten Tochter ständig für die Freundin
Vater-Tochter-Beziehungen sind über die Jahre viel enger geworden, und das sehr schnell. Doch dies stösst in der Gesellschaft nicht immer auf Verständnis.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Journalistin Rosa Schmitz wird immer wieder für die Freundin ihres Vaters gehalten.
- Gerade als Teenagerin war das für sie belastend.
- Vater-Tochter-Beziehungen sind enger geworden. Damit ist die Gesellschaft überfordert.
Immer wieder werde ich (28) für die Freundin meines 70-Jährigen Vaters gehalten. Wenn wir zu zweit durch die Stadt schlendern. Wenn wir ohne meine Mutter essen gehen. Wenn wir im ÖV nebeneinander sitzen.
Und das schon, seit ich in die Pubertät gekommen bin.
Als Teenager war mir das enorm unangenehm. Ich lernte gerade erst, wie ich zu Männern stehe. Und hatte noch keine Chance gehabt, meine Sexualität zu entdecken, hatte noch nie einen Jungen geküsst.
Die Gesellschaft raubte mir mit ihren Vorwürfen ein Stück weit den sicheren Raum, dies zu tun. Die Leute verhöhnten mich, warfen mir Seitenblicke zu und machten Sprüche.
«Frauen wie Sie werfen uns Jahrhunderte zurück»
Ein Beispiel: Mein Vater und ich – damals 17, 18 – sitzen im Café, teilen uns ein Stück Kuchen und unterhalten uns. Als wir aufgegessen haben, geht er zur Kasse, um zu bezahlen.
In der nächsten Sekunde lehnt sich eine Frau vom Nachbartisch zu mir herüber und spottet: «Frauen wie Sie werfen uns Jahrhunderte zurück.» Mir fehlen die Worte – ich sage nichts, werde nur rot und sinke in meinen Stuhl.
Mit 21 teilen mein Vater und ich uns einen Regenschirm und gehen vom Kino zurück zu seinem Auto. Aus dem Nichts ruft mir ein Mann, der auf uns zukommt, zu: «Zu gut für Männer in deinem Alter?» Wütend schnaube ich zurück: «Er ist mein Vater, du Arschloch.» Woraufhin er nur lacht.
Mit 23 wurde ich dann gefragt: «Hat er wenigstens Geld?» als ich in der Schlange stand, um uns ein Eis zu holen.
Unbehagen in Vater-Tochter-Beziehung
Dies hat mir jahrelang in unserer Beziehung Unbehagen bereitet. In der Öffentlichkeit habe ich Körperkontakt vermieden. Bei jedem Gespräch sprach ich ihn immer wieder lautstark mit «Papa» an. Ich versuchte, mich zurückhaltend zu kleiden, weil ich dachte, das würde mich unschuldiger machen.
Doch dann wurde ich statt als Tussi einfach als Opfer gesehen.
Aber ich war überzeugt, dass ich meinem Vater gegenüber keine positiven Gefühle zeigen durfte. Das war anscheinend nur etwas für Töchter und Mütter. Sonst würde etwas Unangemessenes in meine Beziehung zu ihm hineininterpretiert werden.
Heute mit 28 ist das anders. Ich fühle mich wohl in meiner Beziehung zu meinem Vater.
Mich damit abzufinden, dass ich nicht alle Fremden aufklären oder belehren kann, war aber nicht leicht. Es erforderte viele Gespräche mit meinem Vater, der Psychologe ist, und ein paar Therapiesitzungen.
Vater-Tochter-Beziehungen sind enger geworden
Was steckt hinter den wilden Annahmen von Fremden?
Vater-Tochter-Beziehungen sind über die Jahre gesellschaftlich «viel enger geworden», erklärt Psychotherapeut Andreas Kiriakidis aus St. Gallen. «Und das sehr schnell.»
Darauf würde die Gesellschaft empfindlich reagieren. Denn es gebe gewisse Vorstellungen davon, was gehe und was nicht. Das löse in vielen Frauen – und ihren Vätern – die Frage aus: Wie nahe dürfen wir uns sein?
«Da muss man sagen: ‹Ich weiss, was hier läuft.› Und Signale schicken, dass ich mich legitimiert fühle, hier mit meinem Vater herzlich zu sein.»
Sei eine Vater-Tochter-Beziehung sehr vertraut, «wäre es natürlich schade, wenn sie durch äussere Einflüsse eingeschränkt wird».
«Das möchte ich und dazu stehe ich»
Bei denen, die sich einmischen, ginge etwas Eigenes vor. «Mit ihnen zu streiten, sie zu konfrontieren, bringt wenig», sagt Kiriakidis. Stattdessen sollte man selbstreflektiert eine Haltung finden: «Das möchte ich und dazu stehe ich.»
Laut dem Experten ist das wertvoll und wichtig, damit man sich weiterhin wohl in der Beziehung fühlen kann. «Man sollte keine Versteckhaltung einnehmen. Oder meinen, man müsse sich rechtfertigen. Das ist unnötig, wenn man weiss, wo man steht.»
Der Konflikt mit der Gesellschaft entschärfe sich sehr schnell, wenn man einfach sagt: «Ich bin hier glücklich mit meinem Papa. Und für mich ist klar, was hier läuft.» Dann gebe es nichts zu diskutieren.
Ein kontinuierlicher Prozess. Einen, den auch ich, obwohl ich in einem Therapeutenhaushalt aufwuchs, noch nicht komplett beherrsche. Aber ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich ein wirklich gutes Verhältnis zu meinem Vater habe. Und das lasse ich mir nicht nehmen.