«Grauenvoll»: Dolmetscher wollen LGBT-Inhalte nicht übersetzen
Homosexuelle Asylsuchende erleben zum Teil Anfeindungen und Ablehnungen von Dolmetschenden. Das führe zu einer «grauenvollen Atmosphäre», so ein Kenner.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Experte warnt: Dolmetscher können LGBTIQ+-Inhalte falsch oder nicht übersetzen.
- Sprachliche Barrieren erschweren queeren Asylsuchenden das Offenbaren ihrer Geschichte.
- Die fehlende Sensibilität von Dolmetschern kann den Asylentscheid beeinflussen.
Wer lesbisch, schwul, bisexuell, trans, intergeschlechtlich oder queer (LGBTIQ+) ist und verfolgt wird, kann in der Schweiz Asyl beantragen. Im Asylverfahren ist es von entscheidender Bedeutung, dass Asylsuchende ihre Fluchtgründe detailliert und glaubhaft darlegen können.
Für die Betroffenen bedeutet dies oft, dass sie zum allerersten Mal offen über ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen müssen. Eine Herausforderung, die durch sprachliche Barrieren und manchmal auch fehlende Unterstützung von Dolmetschenden zusätzlich erschwert wird.
Jakob Keel, der LGBTIQ+-Personen bei der Organisation «Queeramnesty» ehrenamtlich betreut, führt die Problematik gegenüber Nau.ch aus: «Queere Asylsuchende kommen häufig aus Ländern, in denen Homo- und Transphobie die Norm ist. Sie müssen in ihrem Herkunftsland mit Verfolgung oder gar Gefängnis rechnen.»
Oft kein neutrales Vokabular
Es falle ihnen daher nicht leicht, über so intime und private Aspekte ihres Lebens zu sprechen. «Wenn sie zusätzlich auf eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher angewiesen sind, müssen sie ihre Geschichte vor zwei Personen offenbaren.» Das führe zu einem zusätzlichen Hemmnis.
In vielen Kulturen würden diese Themen überhaupt nicht besprochen. Er erklärt: «Das führt oft zu gehemmten Situationen. Die befragte Person weiss oft nicht, wie sie ihre Geschichte überhaupt auf plausible Weise beschreiben soll.»
Besonders problematisch wird es dann, wenn Dolmetscherinnen und Dolmetscher die Inhalte falsch wiedergeben.
Dazu komme: «Es gibt Dutzende von Sprachen, in denen es schlichtweg kein neutrales Vokabular für Themen wie Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit gibt.»
SEM hat keine Meldungen zu Beschwerden
Auf Anfrage Nau.ch sagt das Staatssekretariat für Migration (SEM) fest, es kenne keine Konflikt-Fälle mit Dolmetschenden und LGBTIQ+-Personen.
Die Behörde betont die getroffenen Vorkehrungen, um solche Herausforderungen zu adressieren. Sprecherin Magdalena Rast erklärt: «Das SEM nimmt die Frage der Verdolmetschung während des Verfahrens sehr ernst. Das SEM hat bereits vor längerer Zeit verschiedene Massnahmen ergriffen, um solche Konfliktsituationen mit Dolmetschenden zu verhindern.»
So werde beispielsweise ein gründliches Screening von Dolmetschenden durchgeführt. Um sicherzustellen, dass diese in der Lage sind, für LGBTIQ+-Personen zu dolmetschen. Zudem würden Dolmetschende vor Beginn ihrer Arbeit im Rahmen eines Einführungsgesprächs auf diese sensiblen Themen vorbereitet.
Herausforderung liegt beim «richtig» Übersetzen
Tom Morgenegg kennt aber solche Fälle. Er ist Geschäftsleiter der «Isa Fachstelle Migration», die unter anderem Kurse für interkulturelles Dolmetschen anbietet. Er sagt zu Nau.ch: «Ganz grundsätzlich ist Dolmetschen eine Herausforderung. Wir können Gesprochenes nie exakt im selben Sinn übersetzen.»
Themen wie sexuelle Orientierung und sexuelle Identität seien besonders sensibel und würden auch interkulturelle Dolmetschende vor Herausforderungen stellen. «Es geht effektiv so weit, dass Begriffe für gewisse Inhalte des Themas in einem Kulturkreis fehlen. Oder eben negativ konnotiert sind.» Hier liege die Herausforderung, eine Aussage richtig zu «übersetzen».
Doch die sprachlichen Hürden sind nicht das einzige Problem. «Es kommt vor, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher aus persönlichen Überzeugungen nicht über LGBTIQ+-Themen sprechen wollen. Oder gar beleidigend werden», sagt Jakob Keel von «Queeramnesty».
Das seien aber Einzelfälle. «In solchen Fällen entsteht eine grauenvolle Atmosphäre, die das Asylverfahren stark beeinflussen kann», so Keel weiter.
Dies könne dazu führen, dass eine befragte Person eingeschüchtert wird. Ohne dass dies die anderen im Raum anwesenden Personen überhaupt bemerken. Und dass somit wichtige Details nicht korrekt wiedergegeben werden, wodurch der Asylantrag abgelehnt wird.
Das Protokoll einer solchen Anhörung bildet schliesslich die Grundlage für den Asylentscheid. «Wenn nicht präzise übersetzt wird, kann das den Unterschied zwischen einem positiven und einem negativen Entscheid bedeuten», betont Keel.
Beamte bei Asylanhörung müssen kritisch sein
Die Schwierigkeiten beim Dolmetschen beschränken sich nicht auf die Asylanhörung. «Auch im Spital, in der Psychotherapie oder im Gespräch mit Sozialarbeitenden können diese Problematiken auftreten», sagt Keel.
Der grosse Unterschied sei aber: «Eine Ärztin, ein Psychologe oder eine Sozialarbeiterin sind ausgebildet, Patienten und Klienten mit Empathie zu begegnen. Ihr Beruf beinhaltet sozusagen per Definition, dem Gegenüber nach Möglichkeit zu helfen.»
Anders sei das bei den Beamten im Asylprozess. «Sie müssen von ihrer Funktion her kritisch sein und den Asylgrund hinterfragen.»
Tom Morgenegg der «Isa Fachstelle Migration» hebt hervor, dass die Qualität der Dolmetscherarbeit stark von der Ausbildung abhängt. «Die Isa fordert seit Jahren, dass interkulturelle Dolmetschende eine qualifizierte Ausbildung besuchen können und sich kontinuierlich weiterbilden dürfen.»
Er merkt an: «Es gibt immer noch Situationen, in denen eine Person übersetzt, die (noch) nicht ausgebildet ist.»
Auch Jakob Keel von «Queeramnesty» sieht vor allem in der Sensibilisierung und Schulung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern einen wichtigen Schritt.
«Verständlich, wenn Dolmetscher überfordert sind»
Dazu bietet die Organisation entsprechende Workshops an. Es brauche aber generell eine Enttabuisierung queerer Themen. «Je mehr LGBTIQ+-Themen offen diskutiert und verstanden werden, desto weniger kommt es zu solchen Problemen.»
Keel hebt hervor, dass die Behörden gefordert sind, die Problematik ernst zu nehmen: «Es ist verständlich, dass manche Dolmetscherinnen und Dolmetscher überfordert sind. Aber es muss klare Richtlinien geben, wie in solchen Situationen vorzugehen ist.»
Schliesslich gehe es letztendlich um das Leben und die Sicherheit der betroffenen Asylsuchenden.