Bund: Jeder vierte minderjährige Asylbewerber ist erwachsen
Ob sich als minderjährig ausgebende Asylbewerber tatsächlich minderjährig sind, will das SEM in vielen Fällen prüfen. Ein Viertel wird als erwachsen eingestuft.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Viertel der minderjährigen Asylbewerber wurde 2022 und 2023 als erwachsen eingestuft.
- Die Minderjährigkeit wurde in der Hälfte der erstellten Gutachten nicht bestätigt.
- Ob ein Flüchtling als minderjährig eingestuft wird oder nicht, spielt eine grosse Rolle.
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Jahr 2021 entschieden sich zwei Schwestern zur Flucht. Ihre Reise führte sie durch mehrere Länder und endete schliesslich im Dezember 2023 in der Schweiz.
In Griechenland stellten sie ihr erstes Asylgesuch und wurden als minderjährige Flüchtlinge anerkannt. Trotz dieser Anerkennung stellten sie weitere Asylanträge in Kroatien und Norwegen. Schliesslich baten sie auch in der Schweiz um Asyl.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trat nicht auf die Gesuche ein. Der Grund: Die beiden erhielten schon in Griechenland den Flüchtlingsstatus.
Es zweifelte zudem an ihrer Minderjährigkeit aufgrund widersprüchlicher Angaben. Die Schwestern bestanden darauf, dass ein Gutachten erstellt wird, um ihr Alter festzustellen, wie «CH Media» berichtet.
Aktivisten kritisieren Alters-Gutachten
Ihr Alter ist von entscheidender Bedeutung für ihren Aufenthaltsstatus in der Schweiz. Gemäss einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dürfen besonders gefährdete Personen wie unbegleitete Minderjährige (UMA) nicht nach Griechenland abgeschoben werden.
Die Schwestern konnten nun einen Teilerfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht erzielen. Das Gericht wies das SEM an, ein Altersgutachten für die beiden durchzuführen. Sollten sie minderjährig sein, muss das SEM ihren Asylantrag bearbeiten.
Lara Hoeft vom Verein «Pikett Asyl», die die Schwestern vertritt, äussert Kritik an der Praxis des SEM. Sie sagt gegenüber «CH Media»: «Es kommt in unserer Rechtsberatungstätigkeit immer wieder vor, dass wir die Alterseinschätzung des SEM nicht teilen.» Und auch, dass «das SEM eine Einschätzung zuungunsten der Betroffenen vornimmt».
Ein Viertel wird als erwachsen angesehen
Das SEM ordnete letztes Jahr bei 1828 für insgesamt 3271 unbegleitete minderjährige Asylbewerber ein rechtsmedizinisches Gutachten zur Altersbestimmung an.
Bei etwa der Hälfte dieser Gutachten wurde festgestellt, dass die Antragsteller nicht minderjährig waren.
2022 und 2023 stufte das SEM einen Viertel aller Asylbewerber als erwachsen ein, obwohl sie sich als minderjährig ausgaben. Das sagt Magdalena Rast vom SEM.
So beurteilt Bund Alter der Asylsuchenden
Rast weist auf den Grundsatz des «Bündels von Indizien» hin, der für die Beurteilung der Minderjährigkeit gilt. Alle Faktoren würden in eine Gesamtbeurteilung einfliessen, und ein Altersgutachten sei nur eines dieser Elemente.
Sie sagt: «Je einheitlicher und eindeutiger das Ergebnis eines Gutachtens ist, desto stärker ist sein Wert.»
Die Altersgutachten basieren auf dem sogenannten «Drei-Säulen-Modell». Bei diesem werden das körperliche Erscheinungsbild, der linke Handgelenkknochen, die Schlüsselbeine und die Zähne analysiert. Rast betont, dass diese Methode aus wissenschaftlicher Sicht als die beste Option anerkannt sei.
Die Ergebnisse der Gutachten haben direkte Auswirkungen auf das Asylverfahren. Unbegleitete Minderjährige werden besonders geschützt und ihre Asylgesuche prioritär behandelt.
Dazu profitieren sie von verschiedenen Fördermassnahmen und werden sozialpädagogisch begleitet. Eine Ausschaffung ist bei den Minderjährigen zudem schwieriger als bei Erwachsenen.