Heimische Luchse geschossen – setzt man nun ausländische aus?
Ein Wildhüter erschiesst im Kanton Graubünden drei Luchse statt Wölfe. Die Verwechslung heizt die Debatte über den Umgang mit der Luchs-Population an.
Das Wichtigste in Kürze
- Im November erschiesst ein Wildhüter aus Versehen drei Luchse statt Wölfe.
- Luchse sind gefährdet. Der Abschuss könnte daher zu neuen Auswilderungen führen.
- Diese wiederum könnten eine dringend benötigte Blutauffrischung bewirken.
Im November 2024 erschiesst ein Wildhüter versehentlich drei Luchse – zwei Jungtiere und ein ausgewachsenes Männchen.
Er hielt sie für Jungwölfe des Vorab-Rudels, die zum Abschuss freigegeben waren.
Der Wildhüter zeigte sich nach dem Vorfall umgehend selbst an. Das Strafverfahren ist noch hängig.
Der Vorfall wirft grundsätzliche Fragen zur Zukunft des Luchses in der Schweiz auf. Der Eurasische Luchs ist eidgenössisch geschützt. Er gilt als Art von hoher nationaler Priorität.
«Solche Vorfälle wiegen schwer»
Die Stiftung Kora, die sich für den Schutz von Grossraubtieren einsetzt, bezeichnet den Abschuss gegenüber der «NZZ» als «bedauerlichen Verlust».
«Die lokale Luchspopulation ist noch klein, solche Vorfälle wiegen schwer», erklärt eine Sprecherin.
In Graubünden wurden im Sommer 2024 mindestens sieben Jungtiere geboren, insgesamt leben dort schätzungsweise über 20 Luchse.
Schweizweit wird die Population auf rund 309 Tiere geschätzt. Das Problem: Genetische Analysen zeigen, dass die Tiere zunehmend unter Inzucht leiden.
Denn die heutige Luchspopulation geht auf wenige Tiere zurück, die in den 1970er-Jahren aus der Slowakei eingeführt wurden.
«Blutauffrischung» dringend nötig
Das Bundesamt für Umwelt prüft nun, ob die getöteten Luchse durch Tiere aus dem Ausland ersetzt werden können. «Es gab bereits erste informelle Gespräche», sagt Bafu-Sprecher Moritz Heiser zur «NZZ».
2025 soll ein Austausch zwischen Bund, Kanton und Kora stattfinden, um die nächsten Schritte zu besprechen.
Die Auswilderung neuer Luchse könnte zur dringend benötigten «Blutauffrischung» führen.
Bereits in den 1990er-Jahren zeigte sich eine genetische Verarmung – besonders in den Alpen. Dies birgt Gefahren: Inzucht kann die Anpassungsfähigkeit und Fortpflanzung der Tiere beeinträchtigen.
Luchs-Import gesetzlich schwierig
Einfach ist die Einführung neuer Luchse jedoch nicht. Laut aktueller Gesetzgebung ist die Auswilderung ohne besondere Umstände verboten.
Selbst das revidierte Jagdgesetz, das im Februar 2025 in Kraft tritt, bietet keine Lösung. Ein Import neuer Tiere wäre nur im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts möglich.
Während der Luchs heute vielerorts als «unproblematischer» als der Wolf gilt, war das nicht immer so. In den 1970er- und 1980er-Jahren stiess die Wiederansiedlung auf heftigen Widerstand – vor allem bei Jägern und Nutztierhaltern.
So wurde etwa der Obwaldner Förster Leo Lienert, der die ersten Tiere aussetzte, massiv bedroht. Gegner legten ihm einen gewilderten Luchs vor die Tür und schickten ihm Drohbriefe.
Luchs attackiert kaum Nutztiere
Heute hat sich das Bild gewandelt. Der Luchs erbeutet vor allem Rehe und Gämsen und richtet im Gegensatz zum Wolf kaum Schäden an Nutztieren an.
Laut Kora wird er zunehmend als «weniger konfliktträchtig» wahrgenommen. Auch in der Jägerschaft ist die Akzeptanz gestiegen – vor allem, da sich die Jagd stärker auf Rothirsche verlagert hat.
Die tragische Verwechslung in Graubünden zeigt jedoch, dass es noch Aufklärungsarbeit braucht.
Experten hoffen, dass der Vorfall langfristig dazu beiträgt, die genetische Vielfalt der Luchspopulation zu stärken. Und so den Schutz der scheuen Raubkatzen zu verbessern.