In Holz gekerbte und geschlagene Bildnisse der Liebe und des Elends
Mit «Kerben und Kanten» überschreibt das Kunstmuseum Basel eine Ausstellung zu den Holzschnitten und -skulpturen von Hermann Scherer. Das Museum gibt dem Basler Expressionisten damit die Gelegenheit, aus dem Schatten von Ernst Ludwig Kirchner zu treten.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Name von Hermann Scherer (1893-1927) wird fast immer mit dem Ernst Ludwig Kirchners (1880-1938), dem Übervater des deutschen Expressionismus, in Verbindung gebracht.
Dies absolut zurecht. Denn es war Kirchner, der Scherer zu dem Künstler machte, als den ihn die Kunstgeschichte seither definiert.
In Davos brachte Kirchner den gelernten Steinmetz, den er 1923 in Basel kennengelernt hatte, mit dem Expressionismus und damit auch mit dem Holzschnitt in Berührung - dem grafischen Leitmedium des Expressionismus. Scherer wandelte sich zum Expressionisten durch und durch. Ab 1924 entstanden innerhalb von 22 Monaten über 100 Holzschnitte und rund 25 Holzskulpturen.
Die Basler Ausstellung zeigt nun eine grosse Auswahl von Holzschnitten - die meisten davon aus der reichhaltigen Sammlung des hauseigenen Kupferstichkabinetts. Dazu kommt eine Auswahl der Holzskulpturen, bei denen das Kunstmuseum auch auf internationale Leihgaben zurückgreifen kann.
Das Spezielle an der Ausstellung ist, dass nicht nur die Stiche selber - manche in verschiedenen Versionen -, sondern auch eine ganze Reihe an Druckstöcken gezeigt werden. Dies wurde durch die Schenkung des Scherer-Nachlasses möglich: Mit dem Beginn des Jahres hat das Museum 54 dieser Druckstöcke in seine Sammlung aufgenommen.
Zudem bemerkenswert an der Ausstellung sind offensichtliche Hinweise auf das zwischenzeitliche enge Mit- und Nebeneinander im Schaffen von Scherer und Kirchner. So sind gleich mehrere Gegenüberstellungen von Drucken zu sehen, die exakt dasselbe Sujet aus ein und demselben Blickwinkel zeigen. Zum Beispiel eine «Grosse Berglandschaft» oder ein «Stehender Frauenakt».
In diesen Werken offenbaren sich die Unterschiede in den Darstellungsweisen der beiden Künstler. Scherers Werke sind freier, vielleicht auch etwas gröber gestaltet, das heisst, etwas näher an der Abstraktion als dies bei Kirchner der Fall ist.
In den wenigen Jahren, die ihm bis zu seinem frühen Tod 1927 blieben, entwickelte Scherer eine regelrechte Schaffenswut. Davon zeugen nicht zuletzt die drei grossen Mappenwerke, die in einem eigenen Saal präsentiert werden. In diesen erzählt er in Serien und in Anlehnung an expressionistische Stummfilme bekannte Geschichten aus der Zeit nach: Bertolt Brechts «Baal» zum Beispiel oder «Raskolnikow» nach Dostojewskis Roman «Schuld und Sühne». In diesen Werkserien zeigt sich Scherer als gnadenloser Chronist der existenziellen Krisen des Menschen.
Ganz anders sind die Motive, die Scherer in seinen Holzskulpturen zeigt. Hier dominieren die Motive Freundschaft und innige Liebe. Davon zeugt unter anderem eine Gruppe von vier Holzskulpturen, die in der Basler Ausstellung aufs Genauste so zusammengestellt sind, wie sie Kirchner 1924 in Davos vor dem Bildhaueratelier fotografiert hatte.
Die Ausstellung «Hermann Scherer - Kerben und Kanten» ist bis 18. April im Neubau des Kunstmuseums Basel zu sehen.