Integrierter Eritreerin droht trotz Job die Ausschaffung

Alexander König
Alexander König

Bern,

Das ist die Geschichte von Wintana (27): Die Eritreerin ist hervorragend integriert, doch droht ihr im Falle eines Grenzübertritts die Ausschaffungshaft.

Eritreerin Flüchtling Fremdenpolizei
Wintana ist ein Musterbeispiel gelungener Integration. - zVg.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wintana (27) ist 2012 in die Schweiz geflüchtet.
  • Heute spricht sie fliessend Deutsch, hat eine Ausbildung und zahlt Steuern.
  • Die Erteilung einer ständigen Aufenthaltsbewilligung wird ihr dennoch verwehrt.

Aus dem Sudan in die Schweiz geflüchtet, arbeitet eine Eritreerin wenige Jahre später nach abgeschlossener EFZ-Ausbildung als Coach und Kauffrau.

Doch gilt sie mit dem Ausweis F nur als «vorläufig aufgenommene Ausländerin». Weder darf sie ein Handy-Abo abschliessen noch das Land verlassen. Denn: Bei der Wiedereinreise droht die Gefahr, in Ausschaffungshaft zu kommen.

Bei der Fremdenpolizei Bern blitzt ein Härtefallgesuch nach dem anderen ab.

Sie sei ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Aber auch für «behördlichen Wahnsinn», so ihr Arbeitgeber.

Doch von vorne: Eine eritreische Familie flüchtet in den 90er Jahren in den Sudan. 1994 wird dort Wintana geboren. Als das Mädchen 11 Jahre alt ist, sterben ihre Eltern.

Ende 2012, mit 18 Jahren, flüchten Wintana und ihre jüngeren Geschwister in die Schweiz. Der Eritreerin wird die vorläufige Aufnahme erteilt.

Feste Arbeitsstelle, fliessendes Deutsch – kein Aufenthaltsstatus

Schon 2015 startet die heute 27-Jährige eine Lehre als Büroassistentin bei der ALP Grauholz in Stettlen BE. Der Betrieb setzt sich für die berufliche Integration von Menschen in verschiedensten Lebenssituationen ein. Die Lehre schliesst sie mit einem Durchschnitt von 5,4 ab.

Ihr Chef ist begeistert, weshalb sie eine zusätzliche Lehre zur Kauffrau EFZ starten darf. Doch die junge Frau ist in der Schweiz nach wie vor eingeschränkt: «Noch immer durfte ich nicht reisen. Beim Schullager in der 10. Klasse musste ich als einzige zu Hause bleiben.»

Darum stellt sie 2017 mithilfe ihres Arbeitgebers ein erstes Härtefallgesuch an die Fremdenpolizei Bern. Ziel: die Erteilung einer ständigen Aufenthaltsbewilligung. Doch Wintana blitzt ab: Sie sei von Sozialgeldern abhängig, ausserdem fehle der Reisepass, womit sich ihre Identität nicht verifizieren lasse.

Eritreeische Flagge an Gebäude
Laut Amnesty International werden Eritreer, die im Ausland Asyl ersucht haben, in ihrem Heimatland inhaftiert. - Keystone

Dennoch schliesst Wintana die EFZ-Lehre ab – während sie weiterhin zu ihren jüngeren Geschwistern schaut. Und zwar mit der «herausragenden Durchschnittsnote von 5,3», wie ALP-Geschäftsführer Matthias Moser ausführt. Kurzerhand wird die Eritreerin 2020 im selben Betrieb angestellt, ist unabhängig von Sozialgeldern.

Doch: Die eritreische Botschaft weigert sich, ihr einen Pass auszustellen, weil Wintana im Sudan und nicht in Eritrea geboren ist. Diesen Missstand führen sie und Moser in einem zweiten Härtefallgesuch Anfang 2021 aus.

Informationsresistenz der Behörden

Erneut gerät Wintana in eine Sackgasse. Mit keinem Wort geht die Fremdenpolizei auf die Argumente ein, sondern beharrt: «Bis dato ist Ihre Identität nicht abschliessend gesichert und Sie können keinen Reisepass vorlegen.»

Doch nicht nur das: Mit Verweis auf eine Einvernahme mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM), die Jahre zurückliegt, schreibt die Fremdenpolizei: «Ihre Ausführungen wurden als unglaubhaft eingestuft.»

sem wabern Gebäude
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) befindet sich in Wabern bei Bern. - wabern.ch

Wie «allgemein bekannt ist», seien Papiere wie die Geburtsurkunde aus dem Sudan «leicht zu fälschen oder käuflich». Die Eritreerin schüttelt den Kopf: «Das stimmt einfach nicht. Ich habe eine offizielle Geburtsurkunde mitsamt Stempel vorgelegt. Was soll ich denn noch tun, damit sie mir glauben?»

Wintana reicht 2021 eine Verwaltungsbeschwerde gegen die Fremdenpolizei ein, gelangt an die Sicherheitsdirektion Bern. Nach langem juristischen Hin und Her weist auch diese – mehr als ein Jahr später – am 14. Juni 2022 den Fall ab.

Grund: Die Beschwerdeführerin sei im Verfahren ihrer Pflicht zur «Offenlegung ihrer Identität nicht rechtsgründlich nachgekommen». Die Sache wird daraufhin ans Verwaltungsgericht Bern weitergezogen und ist jetzt noch hängig.

«Will doch nur akzeptiert werden»

Doch Wintana hat kein gutes Gefühl dabei. «Langsam gebe ich die Hoffnung auf.» Besonders schlimm: Wegen des fehlenden Reisepasses würde sie nicht einmal im Sudan, wo sie geboren wurde, oder in Eritrea als Staatsbürgerin anerkannt. «Dabei bedeutet die Schweiz für mich Heimat.»

«Das ist absoluter Irrsinn», klagt auch Matthias Moser. «Ich kann mir kaum vorstellen, dass es bessere Integrationsbeispiele gibt. Wir warten nun schon seit Jahren darauf, dass sich bei den Behörden etwas tut.»

Auch Wintana wünscht sich, dass der Behörden-Kampf endlich ein Ende hat. «Ich verdiene mein eigenes Geld, spreche Deutsch, habe meinen Freundeskreis hier. Ich will doch nur akzeptiert werden.»

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