Junge verunsichert: Wie merke ich, ob ich Kinder will?
Es gibt so viele Job-, Reise- und Hobbymöglichkeiten wie noch nie. Braucht es da noch Kinder für ein erfülltes Leben? Viele Junge sind unsicher.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Geburtenrate in der Schweiz ist deutlich gesunken.
- Ein Grund: Es gibt so viele Selbstverwirklichungsmöglichkeiten wie nie zuvor.
- Expertinnen erklären, wie man die Kinderfrage für sich beantworten kann.
Heiraten, Haus bauen, Kinder ist nicht mehr – jedenfalls nicht mehr unbedingt. Die Geburtenrate in der Schweiz ist zuletzt stark gesunken. Viele Junge planen ihr Leben heute anders.
«Die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung sind heute grösser, die beruflichen Wege diverser», erklärt die Berner Psychologin Christa Dold bei Nau.ch. Das führt auch zu Verunsicherung.
«Ich beobachte, dass viele die Kinderfrage vor sich herschieben. Obwohl oder gerade weil sie aus biologischer Sicht nicht mehr ewig Zeit haben.»
«Entweder für immer Mutter oder für immer kinderlos»
Die junge Bernerin Cloé T.* beschäftigt das Thema stark, wie sie sagt. «Es ist eine sehr folgenschwere Entscheidung, die ich in den nächsten zehn Jahren fällen muss. Entweder werde ich für immer Mutter oder für immer kinderlos.»
Der grösste Nachteil wäre für sie die Freiheit, die sie verlieren würde. «Das fängt ja schon bei Kleinigkeiten an: Ich könnte zum Beispiel meine Wohnung nicht mehr so einrichten, wie es mir gefällt.» Sie finde aber die Vorstellung auch schön, mit einem Kind eine «so sinnstiftende» Lebensaufgabe zu haben.
Schon lange mit der Kinderfrage herumgeschlagen hat sich Rafael K.* Eigentlich wollte der Basler Anfang 30 eher noch keinen Nachwuchs, wie er zu Nau.ch sagt. «Aber bei meiner Freundin ist der Wunsch stetig stärker geworden.»
«Ich habe ja gesagt, weil ich meine Freundin nicht verlieren will»
Sorgen bereite ihm vor allem die Verpflichtung, die mit dem Vatersein komme. «Ich lebe mein Leben ziemlich glücklich mit mir selbst im Zentrum. Ich weiss, was mir Freude macht und räume dem bewusst viel Zeit ein in meinem Alltag», erklärt er. Er habe Angst, das zu verlieren.
Irgendwann war für K. und seine Partnerin klar: Noch lange weiter abwägen geht nicht. «Wegen der biologischen Uhr mussten wir uns bald entscheiden», sagt er. Das Paar einigte sich darauf, dass er sich zehn Monate lang Gedanken mache – und sich dann entscheide.
«Ich habe dann ja gesagt. Aber nicht jubelnd, sondern weil ich meine Freundin nicht verlieren will», erklärt K. Das Thema sei für beide eine riesige Belastung gewesen.
Paare gehen wegen Kinderfrage in Therapie
Solche Paare hat Paar-, Einzel- und Familientherapeutin Joëlle Gut immer wieder in ihrer Praxis in Bern. «Oftmals gibt es einen Partner, der nicht genau beschreiben kann, weshalb er sich dafür oder dagegen entscheidet.»
In einem längeren Prozess setze sich das Paar dann bei Gut mit dem Thema auseinander. «Es geht darum, den anderen Partner zu verstehen, seine Bedürfnisse, aber auch Ängste zu eruieren», sagt sie zu Nau.ch.
Ein Beispiel: «Ich hatte ein Paar, bei dem der Mann eine unschöne Kindheit hatte. Er hatte grosse Angst, dass er sich selbst als Vater auch negativ verhalten würde.» Diese Angst konnte er dann aufarbeiten.
Expertin rät zur «Zeitreise in die Zukunft»
Aber wie findet man jetzt heraus, ob man Kinder will oder nicht? Psychologin Dold rät: «Sich vorerst alle Optionen offen lassen.» Man sollte sich also weder auf das eine noch das andere fix einstellen, so die Expertin.
Aber: «Die Leute müssten besser darüber informiert sein, dass die Möglichkeiten, Eltern zu werden, mit zunehmendem Alter drastisch sinken. Nur weil eine Freundin mit 40 Jahren noch schwanger wurde, heisst das nicht, dass es auch bei einem selbst klappt.»
Deshalb sei es wichtig, die Frage nicht zu verdrängen, sondern sich innerlich Raum dafür zu nehmen. «Und das zusammen mit dem Partner oder der Partnerin. Auch, wenn man sich noch nicht bereit fühlt.»
Sie empfiehlt: «Zeitreise machen in die Zukunft. Wie könnte mein Leben aussehen mit oder ohne Kinder?» Zudem müsse man bereit sein, mit Kindern die eigenen Bedürfnisse – zumindest phasenweise – deutlich zurückzustellen. «Dafür brauchen wir genügend Ressourcen: zeitlich, finanziell, soziale Netze.»
Zusammengefasst: «Die beiden Aspekte – was habe ich zu geben und wie kann es mich bereichern – müssen geprüft werden.»
*Name der Redaktion bekannt