Kanton Bern prüft Gedenkort für Opfer von Zwangsmassnahmen
Der Kanton Bern soll die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen mit einer Gedenkstätte oder einem anderen Erinnerungszeichen ehren. Der Grosse Rat hat am Dienstag einem SP-Postulat zugestimmt.
Ob ein Erinnerungsort oder eine andere Form des Gedenkens realisiert wird, soll zusammen mit den Betroffenen-Organisationen erarbeitet werden. Der Vorstoss von Hervé Gulloti (SP/Tramelan) stiess im Parlament in allen Fraktionen auf breite Zustimmung.
Widerspruch kam von einzelnen Ratsmitgliedern: Michel Seiler (Grüne/Trubschachen) störte sich daran, dass man sich im Nachhinein für die Vergangenheit entschuldigen wolle, «um euer Gewissen aufzupolieren». Seiler plädierte dafür, stattdessen heutiges Unrecht zu bekämpfen, beispielsweise die weltweite Kinderarbeit.
Das Kantonsparlament stimmte dem Vorstoss mit 131 zu 9 Stimmen bei 7 Enthaltungen zu. Die Mehrheit war der Ansicht, dass es angebracht sei, über die finanziellen Entschädigungen hinaus ein Zeichen der Erinnerung zu schaffen, wie dies im Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vorgesehen ist.
Der Kanton Bern nimmt in der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Schweizer Geschichte eine besondere Rolle ein. 1800 der 9000 beim Bund eingereichten Gesuche für einen Beitrag aus dem Solidaritätsfonds stammen von Betroffenen aus dem Kanton Bern, wie Mitte November an einer Archivaren-Tagung bekannt wurde.
Bern ist derjenige Kanton mit den meisten Gesuchen und die Zahl von 1800 ist mit Blick auf die Bevölkerungszahl des Kantons Bern überproportional hoch. Der Kanton Bern wandte für die Bearbeitung der Gesuche im Staatsarchiv eine Million Franken auf und beschäftigte vorübergehend bis zu sechs Personen zusätzlich im Staatsarchiv.
Fremdplatzierungen waren im Kanton Bern Teil einer Armutspolitik, welche auch darin bestand, Bauern zu zusätzlichen Arbeitskräften zu verhelfen. Die Berner Behörden zeigten wenig Lust, etwas am althergebrachten, eingespielten System zu ändern.
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen wurden in der Schweiz bis 1981 angeordnet. Zehntausende von Kindern und Jugendliche wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert. Viele wurden misshandelt und missbraucht. Menschen wurden zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche eingesetzt oder ohne Gerichtsurteil weggesperrt, weil ihre Lebensweise nicht den Vorstellungen der Behörden entsprach.