Mager-Videos auf Tiktok können für Junge gefährlich werden
Auf Tiktok finden sich zahlreiche Videos von jungen Frauen mit Essstörungen. Eine Expertin warnt vor einem Nachahmungseffekt.
Das Wichtigste in Kürze
- Viele essgestörte Frauen teilen auf Tiktok Rezepte und Erfahrungen.
- Eine Expertin warnt, dass die Videos Junge zum Nachahmen anstiften können.
- Gefährlich sind Videos, die Essstörungen als Lösung für psychische Probleme anpreisen.
Eine auffallend dünne Frau listet Nahrungsmittel auf, die sie als «sicher» kategorisiert. Auf der Liste sind unter anderem Blaubeeren, Gurken, Diät-Softgetränke und anderes fast kalorienloses Essen. Unter das Video setzt sie den Hashtag «#EatingDisorder» (Deutsch: Essstörung).
Die Kommentare sind fast alle von Frauen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Einige geben weitere Tipps, andere kritisieren die Nutzerin dafür, dass sie sie getriggert habe.
Sie teilen kalorienarme Rezepte oder zeigen die winzigen Mahlzeiten, die sie jeden Tag essen: Auf Tiktok tummeln sich zahlreiche Videos von Frauen mit Essstörungen. Viele davon leiden an Magersucht – einer Krankheit, bei der Betroffene bis zur lebensbedrohlichen Unterernährung abnehmen.
Tiktok-Videos können Junge zum Nachahmen anstiften
Solche Inhalte beobachtet Liliane Wenger mit Sorge. Sie ist Leiterin der Fachklinik für Frauen mit Abhängigkeitserkrankungen und Essstörungen Wysshölzli in Herzogenbuchsee BE.
«Wir erachten Videos, in denen Betroffene ihre extrem kalorienarmen Mahlzeiten zeigen, bei vulnerablen Personen als gefährlich. Der Grund dafür ist ein Nachahmungseffekt», sagt sie zu Nau.ch.
Zum Nachahmen anstiften könnten alle Inhalte, die ein gestörtes Körperbild und gestörtes Essverhalten als Lösungsversuch für psychische Probleme darstellen.
Das könne besonders für junge Menschen, die Mühe hätten, sich und ihren Körper zu akzeptieren, schwierig sein. Denn: «Es kann mithelfen, dass sie in die Spirale einer Essstörung geraten.»
Modebranche zelebriert «kranke Körper»
Ein Problem: «Schlanke Körper werden in unserer Gesellschaft idealisiert. Für viele Menschen ist es schwierig, zu unterscheiden, was noch gesund und was krank ist.»
Ein «kranker Körperbau» werde beispielsweise in der Modebranche häufig immer noch zelebriert. Den betroffenen dünnen Patientinnen gelinge, was dem Wunsch der meisten jungen Menschen entspreche. «Deshalb bringt man ihnen auch Bewunderung entgegen.»
Wenger gibt aber auch Entwarnung: «Beiträge von psychisch erkrankten Menschen in sozialen Medien sind nicht in jedem Fall problematisch.»
Denn: «Es gibt zum Glück auch Berichte von Menschen, die den Weg aus einer Essstörung herausgefunden haben. Das sind motivierende Beispiele.»
Eltern müssten sich also nicht unbedingt Sorgen machen, wenn ihre Kinder Inhalte von Betroffenen konsumierten. «Aber es ist grundsätzlich wichtig, dass sie sich dafür interessieren, was ihre Kinder im Internet anschauen.»
Die Videos seien eine gute Gelegenheit, über aktuelle Schönheitsideale zu diskutieren. «Oder aber über die Wichtigkeit eines positiven Körper- und Selbstbilds zu sprechen.»