Reden Amerikaner wirklich viel zu laut?
US-amerikanische Stimmen gelten als besonders laut. Aber ist es wirklich nur ein Stereotyp oder ist da was dran?
Das Wichtigste in Kürze
- Das Stereotyp der «lauten US-Amerikaner» hält sich auch in der Schweiz.
- In den USA wird mit der Lautstärke Enthusiasmus ausgedrückt.
- Zudem gelten mehr Themenbereiche als öffentlich – ganz im Gegensatz zur privaten Schweiz.
«Letztens war ich im Bus, da habe ich mich selbst nicht denken gehört», erzählt Nau.ch-Leserin Alice B.* Der Grund dafür stand schräg gegenüber von ihr und unterhielt sich lautstark mit seinem Arbeitskollegen – ein US-amerikanischer Expat.
Die Bernerin war auf dem Weg zur Arbeit und ging den Tag gedanklich durch. Der Mitfahrer machte ihr einen Strich durch die Rechnung. «Bereits um sieben Uhr morgens erzählte der Mann dem ganzen Bus, wie die Konferenz in Washington war. Er war nicht zu überhören.»
Dieser Kulturclash ist hörbar: Die schweizerische Sprechlautstärke unterscheidet sich gewaltig von der amerikanischen. Wir reden nämlich viel leiser. Warum aber stört uns der laute Amerikaner?
So sieht es die Halb-Amerikanerin
Patti S.* ist US-Schweizerische Doppelbürgerin und hat die ersten vier Jahre ihres Lebens in den USA verbracht. Dadurch hat sie gelernt, sich an beide Gesprächskulturen laufend anzupassen. Nun lebt sie in Zürich – sie kennt das Stereotyp der «lauten Amis» nur zu gut.
Laut Patti vermitteln Amerikaner und Amerikanerinnen ihre Gefühle in der Lautstärke. «Sie versuchen, Freundlichkeit und positive Emotionen herüberzubringen.»
Anhand der Lautstärke des Gegenübers würden sie deren Enthusiasmus messen. «Wenn du so leise wie ein normaler Europäer redest, denken sie, dass du nichts mit ihnen zu tun haben willst, dass du unhöflich bist.»
In den USA gäbe es nur wenige Orte, bei denen erwartet würde, dass man sich leiser unterhalte. Das hat gemäss der Zürcherin einen bedeutenden Einfluss auf ihre Lautstärke hierzulande.
«Trotzdem finde ich es supernervig und auffällig, wenn Amerikaner ausserhalb der USA so laut reden.» Für Patti gehe es dabei um das Aufrechterhalten ihres freundlichen Images.
Da viele Amerikaner ihre Heimat laut Patti als «Zentrum des Universums» sehen würden, täten sie sich mit Anpassungen schwer. Sie seien lärmig, «weil sie sich und alles, was sie sagen, toll finden. Und das sollen auch die anderen.» Dass das ihre Mitmenschen weniger begeistere, sei für die Amis unvorstellbar.
Das sagt der Experte
Linguistik-Professor Daniel Schreier von der Universität Zürich sieht den Clou auch im Inhalt der öffentlichen Gespräche. «Es ist nicht primär die Lautstärke, die verschieden sein kann, sondern eher die Einstellung zu privatem Gesprächsstoff in der Öffentlichkeit. Was in der Schweiz privat ist und unter vier Ohren bleiben sollte, kann in den USA durchaus allgemeinen Charakter haben.»
Ein Beispiel: In den USA ist es normal, nach dem Lohn zu fragen. In der Schweiz wird das in der Regel nicht gern gesehen.
Schreier: «Natürlich werden solche Unterschiede schnell zu Stereotypen (‹laute Amerikaner, nuschelnde Schweizer›), was zu Unterschieden in der interkulturellen Kommunikation führen kann.»
Bei regelmässigem Austausch würde sich das ausgleichen, beziehungsweise anpassen. So würden Schweizer und Schweizerinnen, die lange in den USA gelebt hätten, selbst als «laut und forsch» gelten.
*Namen der Redaktion bekannt