Reich bleibt reich – Soziologe Ueli Mäder kritisiert den Trend
Die neue «Bilanz» zeigt: Die Reichsten der Schweiz bleiben reich. Soziologe Ueli Mäder von der Universität Basel hinterfragt die Entwicklung.
Das Wichtigste in Kürze
- Die «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten der Schweiz 2019 ist veröffentlicht.
- Die Reichsten besitzen zusammen 702 Milliarden Franken – so viel wie nie zuvor.
- Nau hat bei Professor Ueli Mäder nachgefragt. Er forscht im Bereich soziale Ungleichheit.
Nau.ch: Herr Mäder, was halten Sie von dieser Entwicklung der Anhäufung von Vermögen bei den Reichsten der Schweiz?
Ueli Mäder: Die weitere Konzentration der Vermögen hat viel mit Wertsteigerungen bei den Aktien und Immobilien zu tun. Zudem mit ausländischem Kapital, das in der politisch stabilen Schweiz vorzügliche steuerliche Bedingungen hat und an anderen Orten fehlt. Die Konzentration ist extrem und bringt einseitige Abhängigkeiten mit sich. Eine ausgewogenere Verteilung wäre sinnvoller.
Nau.ch: Birgt diese Entwicklung Gefahren?
Mäder: Ja, Geld ist Macht. Die Konzentration der Vermögen erhöht tendenziell den Einfluss von Reichen. Sie beeinträchtigt demokratische Prozesse. Vor allem in einer Zeit, in der sich viel Geld offensiver dorthin bewegt, wo die Renditen am höchsten sind.
Die soziale Ungleichheit verstärkt gesellschaftliche Spaltungen. Sie birgt die Gefahr, dass Teile der Bevölkerung abhängen. Ein Viertel der privaten Haushalte haben in der Schweiz kein Reinvermögen. Und mehr als die Hälfte der Steuerpflichtigen verfügen über weniger als 50‘000 Franken. Sie haben keine oder zu wenig Reserven. Das bedeutet Stress.
Nau.ch: Aber mehr Vermögen in der Schweiz bedeutet auch mehr Steuereinnahmen für den Staat. Gewinnt dadurch der Staat nicht mit?
Mäder: Ein Problem ist, dass hohe Vermögen wenig besteuert sind. Die reichste Familie profitierte bislang enorm von der Pauschalbesteuerung. Wenn die Vermögen besser verteilt wären, bekäme der Staat mehr Steuern.
Nau.ch: 1989 waren die 100 reichsten Schweizer gemäss «Bilanz» 66 Milliarden schwer. Nun haben die reichsten beiden Dynastien (Geb. Kamprad, Familien Hoffmann und Oeri) zusammen ein grösseres Vermögen. Widerspiegelt dies die Entwicklung des Wohlstandes in der Schweiz?
Mäder: Nein, der reale Wohlstand hat viel mit dem Werkplatz zu tun. Gute Ausbildungen, Arbeitsplätze und Einkommen sind wichtiger als Aktienkurse. Und da müssen wir aufpassen. Es gibt viele Leute, die sehr fleissig sind und wenig verdienen. Und dem Gewerbe fehlen Mittel, die spekulativ eingesetzt werden.
Nau.ch: Jeder 15. Milliardär lebt in der Schweiz. Was halten Sie von dieser Anhäufung von Milliardären, verkommt die Schweiz so zur Insel für Superreiche?
Mäder: Die Schweiz zieht Superreiche an. Mir wäre lieber, sie würde mehr für den Frieden tun. Das wäre ein grösserer Gewinn. Wir müssen dringlich den sozialen Ausgleich fördern, global und regional.
Wir profitieren alle von den weltweiten Handelsbeziehungen. Sie bevorteilen die westlichen Industrieländer. Fairere Preise für Rohstoffe und nachhaltige Investitionen könnten die Lebensbedingungen in armen Regionen erheblich verbessern.
Nau.ch: Inwiefern sehen Sie darin ein Problem?
Mäder: Wenn die Schweiz weiter darauf bedacht ist, vornehmlich ihre Privilegien zu schützen, hat sie keine gute Perspektive. So driften Lebenswelten auseinander. Wir müssen umdenken und einfacher leben.