Roma-Familien missbrauchen Ukraine-Pass – müssen Geld zurückzahlen
Schutzstatus und Sozialhilfe kassieren, obwohl man nicht aus der Ukraine flüchtete. Missbrauchs-Fälle stellen die Schweizer Behörden vor Herausforderungen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Stadt Bern hat zehn mutmassliche Fälle von Missbrauch des Schutzstatus S aufgedeckt.
- Die Familien sollen mit falschen Pässen Sozialhilfe bezogen haben.
- Die Behörden erklären bei Nau.ch, was den Familien nun droht.
Die Stadt Bern stellt vermehrt Fälle von Missbrauch beim Schutzstatus S fest. Zehn Familien sollen sich in Bern aufhalten, die eigentlich nicht dafür berechtigt sind.
Mehr noch: Bei den Familien – allesamt Angehörige der Roma – steht der Verdacht im Raum, dass sie ihre echten ukrainischen Pässe erschlichen oder mit Bestechung erhalten haben.
Die Familien sind wohl gar nicht vor dem Krieg geflüchtet, weil sie sich gar nie oder zumindest nicht regelmässig in der Ukraine aufgehalten haben.
Welche Konsequenzen drohen nun? Alexander Ott, Chef der Stadtberner Fremdenpolizei, sagt zu Nau.ch: «Einige Personen konnten bereits angehalten werden und wurden dem SEM gemeldet. Ein allfälliger Entzug des Schutzstatus obliegt der Bundesbehörde.»
Und: «Bei einem Missbrauch müssen ausbezahlte Sozialhilfegelder zurückgegeben werden.»
Fake-Ukrainer haben Land verlassen
Doch nicht bei allen Verdächtigten sei es gelungen, diese anzuhalten. Denn: «Manche halten sich nicht mehr in Bern auf, sondern haben sich bereits ins benachbarte Ausland abgesetzt», so Ott.
Die Fremdenpolizei meldet Missbrauchsfälle jeweils dem Staatssekretariat für Migration (SEM). Zudem werden die zuständigen Sozialdienste informiert. Diese Behörden sind dann laut Ott zuständig für die weiteren Abklärungen – und diese bräuchten oft Zeit.
Der Chef der Fremdenpolizei betont die Wichtigkeit einer schweizweit vernetzten Zusammenarbeit. Denn hierbei handle es sich keineswegs um ein reines Stadtberner Problem. «Die aufgedeckten Fälle verbuchen wir als Erfolg dafür, dass wir gut hinschauen und diese Zusammenarbeit funktioniert.»
Doch wie genau kamen die Fälle überhaupt ans Licht?
«In den Dokumenten entdeckten wir Unregelmässigkeiten», erklärt Ott. Wenn zum Beispiel im Führerausweis andere Angaben als im Pass stehen, sei dies oft ein Hinweis. «Oder wenn die Personen keine Auskunft zu den Angaben machen können.»
Bereits rund 30 gefälschte Ukraine-Pässe festgestellt
Das SEM führe zudem standardmässig ein Passprüfungsverfahren durch. Dort werde genau hingeschaut.
SEM-Sprecher Reto Kormann sagt zu Nau.ch: «Das SEM konfisziert die gefälschten Passdokumente und übergibt sie für die weiteren Ermittlungen an die Strafverfolgungsbehörden.»
Und weiter: «Das SEM hat Kenntnis davon, dass in der Ukraine Identitätspapiere teilweise illegal hergestellt und verkauft wurden. Seit März 2023 haben wir weniger als 30 solche gefälschten Ausweise festgestellt. Wir nehmen das sehr ernst.»
Illegal erworbene Reise- und Identitätsdokumente seien im Asylbereich aber «kein neues Phänomen», so Kormann. Der Umfang sei häufig aber schwierig festzustellen.
«Klassische Fälschungen sind bei der forensischen Echtheitsprüfung durch Fachleute gut zu erkennen. Illegal erworbene, aber echte Dokumente zu erkennen, ist hingegen schwieriger.» So wie es eben bei den Roma-Familien der Fall ist.
Alexander Ott von der Stadtberner Fremdenpolizei ergänzt hierzu: «Um die Fälschung zu erkennen, muss man zunächst das Original kennen.» Durch die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz habe man hierzu inzwischen grössere Erfahrungswerte.
Geflüchtete müssen ukrainischen Lebensmittelpunkt glaubhaft machen können
SEM-Sprecher Reto Kormann erklärt grundsätzlich: «Es obliegt den schutzsuchenden Personen, sowohl ihre Identität respektive Nationalität als auch ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine zum Zeitpunkt der russischen Invasion nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht, lehnt das SEM das Schutzgesuch ab.»
Wird nach der Schutzgewährung klar, dass der Schutz durch Falschangaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen wurde, werde ein Widerrufsverfahren eingeleitet. Gleiches gelte, wenn eine Person bereits in einem Drittstaat ein Aufenthaltsrecht erworben hat.
Trotz Missbrauchs-Vorfällen betont Alexander Ott von der Stadtberner Fremdenpolizei, dass er den Schutzstatus S keineswegs infrage stelle. Dieser sei das richtige Mittel in einer Situation wie jener mit dem Krieg in der Ukraine. «Deshalb ist es mir wichtig, dass Missbrauch geahndet wird und wir harte Kante zeigen.»
Auch in Graubünden ein Problem
Das Problem ist allerdings auch in Graubünden bekannt. Der Bünder Asyl-Chef Georg Carl vermute schon im Februar, dass mindestens die Hälfte der rund 470 Personen mit Schutzstatus S, die dem Kanton Graubünden seit vergangenem Juli zugewiesen wurden, Roma seien.
Auch er glaubt: Viele von ihnen seien keine echten Kriegsflüchtlinge, weil viele weder Ukrainisch noch Russisch sprechen.