Schulkinder können kaum noch von Hand schreiben
Die Digitalisierung setzt neue Prioritäten im Schulzimmer – und die Handschrift fällt zurück. Schulkinder haben vermehrt Mühe, von Hand zu schreiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Dem Erwerb der Handschrift wird nach aktuellem Lehrplan bewusst weniger Zeit gewidmet.
- Das Resultat: Kinder schreiben langsam, unstrukturiert und bekommen schnell Krämpfe.
- «Fatal» finden Psychologen, denn: Wer von Hand schreibt, kann sich Dinge besser merken.
Die Digitalisierung greift bis in die Schulzimmer: Beamer ersetzen die Wandtafeln und Laptops die Schreibhefte. Das traditionelle Schreiben mit Stift und Papier hat an Bedeutung verloren.
Das widerspiegelt sich direkt in der Handschrift der Kinder. Das «St. Galler Tagblatt» zitiert eine grosse Umfrage unter deutschen Lehrpersonen aus dem Jahr 2019 mit «alarmierenden Ergebnissen»: Kinder schreiben «zu langsam», unleserlich und haben «viel zu oft» Krämpfe.
Nach der verstärkten Digitalisierung während der Corona-Jahre verstärkt sich die Situation erneut. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2022 zeigt auf: Insbesondere Buben haben Probleme mit dem Handschreiben.
Bereits die Hälfte der Jungen in Grund- und weiterführender Schule hatte vor der Pandemie Mühe. Nun schreiben die Buben noch langsamer, unstrukturierter und unleserlicher.
Kinder klagen über «Krämpfe»
Unter Lehrpersonen bereitet die Verschlechterung der Handschrift allerdings wenig Sorgen. Im Digitalzeitalter sei dies als normaler kultureller Wandel zu verstehen, so der Tenor.
«Ich lasse die Aufsätze immer am Laptop schreiben. Die Handschrift der Kinder kann ich kaum entziffern», berichtet ein Lehrer gegenüber dem «Tagblatt». Auch die Rechtschreibfehler und falsch gesetzten Kommas seien ohne Korrekturprogramm derart zahlreich, dass sie vom Text ablenken würden.
Diktate von Hand seien ebenfalls wenig sinnvoll, berichtet ein weiterer Lehrer: «Die Kinder klagen nach zehn Minuten über Krämpfe in der Hand und verlangen eine Pause.»
Weniger Zeit für Schönschrift
Und dennoch: Der Erwerb der Handschrift ist nach wie vor ein Ziel des geltenden Lehrplans 21. Beat Schwendimann, Leiter Pädagogik beim Schweizer Lehrerverband, merkt hierzu an: «Es wird aber für das Schönschreiben zugunsten anderer Fähigkeiten weniger Zeit investiert.»
Das entspreche dem Zeitalter, meint Schwendimann gegenüber der Zeitung. Denn auch im späteren Berufsleben als auch privat werden die Kinder immer mehr auf Tastaturen als auf Papier schreiben müssen.
Lernen selbst kann nicht digitalisiert werden
Für Psychologe Rüdiger Maas ist die Entwicklung «fatal». Auch wenn die Kinder auf die digitalisierte Welt vorbereitet werden müssen: «Man kann nicht das Lernen selbst digitalisieren.»
In seinem Buch «Das Digital-Dilemma» widmet sich Maas dem Anliegen. Gemeinsam mit dem Psychologen Christian Montag und dem Pädagogen Klaus Zierer zeigt er: Handschriftliches Schreiben hat auch Vorteile.
Studien belegen etwa, dass Studierende sich besser an Inhalte erinnern, wenn sie mit Stift und Papier mitschreiben. Dieser Vorteil gilt sowohl gegenüber Notizen mit dem Laptop als auch mit dem Tablet.
Noch mehr Wandel durch künstliche Intelligenz
Langfristig betrachtet könnte das Tippen auf der Tastatur aber tatsächlich wieder an Bedeutung verlieren. So bietet die generative künstliche Intelligenz wieder komplett neue Möglichkeiten.
Man müsse ja nicht einmal mehr unbedingt tippen, meint Schwendimann gegenüber dem «Tagblatt». So könne man mit modernen Maschinen bereits lediglich in gesprochener Sprache interagieren.
Schwendimann könne sich «vorstellen, dass im Lehrplan der Zukunft dem Erlernen des Zehnfingersystems zugunsten anderer Fähigkeiten weniger Bedeutung zukommen wird.»
Während das Tippen zukünftig wieder veralten könnte, dürfte die Schrift mit Stift und Papier aber überdauern. Schliesslich wird es wohl stets analoge Alltags-Situationen geben, welche die Handschrift verlangen.