Schweiz bereitet sich auf «Zombie-Droge» Fentanyl vor
Derzeit gibt es in der Schweiz kaum Fentanyl-Fälle. Ein Pfarrer berichtet von einer mutmasslichen Szene. Die Vorbereitungen laufen.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweiz bereitet sich auf eine allfällige Fentanyl-Welle vor.
- Man setzt auf präventive Massnahmen gegen Fentanyl.
- Einige Konsumenten lassen bereits ihr Heroin auf Fentanyl-Verdacht checken.
Steht die Schweiz vor einer Fentanyl-Welle?
Der Schweizer Pfarrer und Autor Bruno Waldvogel macht kürzlich eine verstörende Entdeckung. «Letzte Woche überquerte ich die Alte Brücke in Olten und sah eine gebückte Person», sagt er zu Nau.ch.
Zuerst dachte er noch, die Person suche etwas am Boden und wollte ihr helfen. «Dann stellte ich aber fest, dass sie unbeweglich und nicht absprechbar war. Mir tat das in der Seele weh», sagt Waldvogel. «So etwas Heftiges sah ich zum ersten Mal.»
Die Frage: War hier Fentanyl im Spiel, wie Waldvogel es vermutet?
Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das etwa 50-mal stärker als Heroin wirkt. Ursprünglich als Medikament zur Behandlung starker Schmerzen entwickelt, wird Fentanyl inzwischen als harte Droge missbraucht.
In den USA, die unter einer Fentanyl-Welle leiden, hat sich der Ausdruck «Zombie-Droge» etabliert.
Wird Fentanyl über längere Zeit konsumiert, führt dies zu einer Versteifung der Muskeln. Das führt zu einem unrunden Gang und eckigen Bewegungen, die an Zombies erinnern.
«Mit Fentanyl gestrecktes Heroin»
Angesprochen auf Waldvogels Beobachtungen gibt sich Oltens Stadtpräsident Thomas Marbet vorsichtig. «Mir selber sind aktuell keine Fälle bekannt», sagt er zu Nau.ch.
Doch er macht klar: «Ich gehe davon aus, dass Fentanyl-Konsum früher oder später auch in Olten auftaucht.»
Auch Oltens Sozialdirektor Raphael Schär-Sommer bestätigt auf Nachfrage: «Nach Rücksprache mit der Geschäftsführerin der Suchthilfe Ost sind uns keine Fälle in Olten bekannt.»
Die Stadt setzt auf präventive Massnahmen – mit aufsuchender Gassenarbeit und Kooperation mit der Suchthilfe Ost.
Auf dem Schweizer Schwarzmarkt ist Fentanyl noch nicht angekommen. «Aktuell ist erst ein Fall von mit Fentanyl gestrecktem Heroin in der Schweiz bekannt», sagt Marc Marthaler von Infodrog.
Die Probe wurde über das Darknet erworben und beim Drug Checking entdeckt. Doch Marthaler warnt: «Die Situation muss überwacht werden.»
Schweiz «sehr gut gewappnet»
Ein flächendeckendes Monitoring und ein Frühwarnsystem seien daher wichtig. Wenn dieses System Alarm schlägt, müssten weitere Massnahmen ergriffen werden.
Marthaler ergänzt: «In dem Fall müsste auch die Verfügbarkeit von Naloxon, ein Medikament, das eine Opioid-Überdosierung aufhebt, flächendeckend gewährleistet sein.»
Drogenkonsumräume und Drug-Checking-Angebote tragen ebenfalls zur Eindämmung bei. Das Schweizer System sei «sehr gut gewappnet». In der Schweiz werden 90 Prozent der Personen mit einer Opioidabhängigkeit mit Substituten therapiert.

Generell gilt: Wer eine unbewegliche oder nicht-ansprechbare Person antrifft, soll die Ambulanz anrufen. Wer dies nicht befolgt, kann sich mitunter strafbar wegen unterlassener Hilfeleistung machen.
Zürich geht auf Nummer sicher. Dominique Schori vom Drogeninformationszentrum (DIZ) erklärt: «Bisher sind zweimal hochpotente synthetische Opioide – stärker als Fentanyl – im DIZ getestet worden. Fentanyl selbst ist bisher noch nicht im Drug Checking aufgetaucht.»
Trotzdem gibt es bereits einen Massnahmenplan mit Monitoring, Naloxon-Ausbau und Informationskampagnen.
Berner Polizei weiss von zwei Konsumenten
Auch in St. Gallen bleibt die Lage ruhig – vorerst.
Regine Rust von der Suchthilfe sagt: «Wir treffen auf kein ‹Strassen›-Fentanyl, aber ab und an auf Missbrauch von medizinischem Fentanyl. Wenn, dann haben wir Einzelfälle, dies aber bereits seit vielen Jahren.»
Auch Basel meldet keine akuten Warnungen. Regine Steinauer von Sucht Basel-Stadt erklärt: «Da synthetische Opioide noch nicht verbreitet auftreten, kann über die Wirkung der Massnahmen keine Aussage gemacht werden.»
Man informiere jedoch bereits Fachpersonen in Schulungen.
Jessica Friedli von der Kantonspolizei Bern bestätigt: «Gemäss unseren Feststellungen sowie laut Contact Bern spielt Fentanyl derzeit in der Berner Drogenszene kaum eine Rolle. Uns sind lediglich ein bis zwei Drogenkonsumierende bekannt, die teils Fentanyl nutzen.»
Auch die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern bestätigt: «Im Moment haben wir keine Meldung von aufgetretenen Fällen», so Gundekar Giebel.
Konsumenten lassen bereits Heroin auf Fentanyl-Verdacht checken
Auch aus Luzern liegen bislang keine bestätigten Fentanyl-Fälle vor. Veronika Beck, stellvertretende Geschäftsleiterin des Vereins Kirchliche Gassenarbeit (VKG) Luzern, sagt: «In Pflasterform taucht Fentanyl in der Kontakt- und Anlaufstelle des VKG seit Jahren ganz selten auf. Vielleicht ein- bis zweimal pro Jahr.»
In der Regel sei es nachvollziehbar, woher die Pflaster kommen – nämlich in der Regel aus dem Spital.

Ein Thema ist Fentanyl allerdings im Drug Checking – zumindest in den Anfragen. «Es ist sichtlich spürbar, dass die Konsumentinnen und Konsumenten sich vermehrt Sorgen machen über mögliche Zusatzinhalte von Fentanyl im Heroin. Und daher auch vermehrt ihr Heroin checken lassen wollen», sagt Beck.
Doch: «In allen bisher eingereichten Proben wurden keine bekannten synthetischen Opioide nachgewiesen.»
Für Bruno Waldvogel hat die Begegnung mit einem mutmasslichen Fentanyl-Opfer in Olten Spuren hinterlassen. Für ihn ist klar: «Angehen kann man das Problem nur, wenn die Dealer-Banden zerschlagen werden.»
Aber auch das Menschliche dürfe nicht vergessen gehen: «Vor allem aber müssen Menschen auf der Strasse neue Hoffnung und Hilfe finden.»