Schweizer Gletscher in zwei Jahren um ein Zehntel geschrumpft
Schweizer Gletscher schrumpfen weiter: Auch in diesem Jahr verloren sie vier Prozent ihres Eises. Forscher sprechen von einem dramatischen Schwund.
Das Wichtigste in Kürze
- In nur zwei Jahren sind Schweizer beachtlich geschrumpft.
- Das sei laut den Forschern trotz Klimawandel aussergewöhnlich.
- Die Beschleunigung des Gletscherschwundes sei dramatisch.
In den letzten zwei Jahren haben die Schweizer Gletscher zehn Prozent ihres Eises verloren. Nach dem Rekordverlust von sechs Prozent im Jahr 2022 schmolz das Gletschereis 2023 um weitere vier Prozent. Das ist laut dem Gletscherforscher Matthias Huss trotz Klimawandel aussergewöhnlich.
Die Beschleunigung des Gletscherschwundes sei dramatisch, hiess es von der Schweizerischen Kommission für Kryosphärenbeobachtung (SKK) der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) am Donnerstag.
Das geschmolzene Eis entspricht einem Volumen von rund 2,2 Kubikkilometern, wie der Leiter des Schweizer Gletschermessnetzes (Glamos), Matthias Huss, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA präzisierte. Der Glaziologe forscht an der ETH Zürich. Damit hätte man alle 36 Sekunden ein Olympiabecken füllen können – oder insgesamt fast zweimal den Bielersee. In nur zwei Jahren haben die Schweizer Gletscher damit laut SKK so viel Volumen verloren wie in den 30 Jahren zwischen 1960 und 1990.
Ganze Schweiz betroffen
Die Gletscherschmelze betraf die ganze Schweiz. Im Süden und Osten der Schweiz schmolzen die Gletscher laut SKK fast gleich stark wie im Rekordjahr 2022. Diese Gletscher verzeichneten einen mittleren Eisdickenverlust von bis zu drei Metern. Im südlichen Wallis und Engadin wurde sogar auf über 3200 Metern über Meer eine Eisschmelze von mehreren Metern gemessen.
Etwas weniger dramatisch sei die Situation zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis, hiess es von der SKK. Aber auch da seien die Gletscher im Schnitt um über zwei Meter dünner geworden.
Besonders für kleinere Gletscher sei dies ein Problem. So mussten die Messungen beim St. Annafirn UR eingestellt werden. «Einerseits ist der Gletscher so klein geworden, dass Messungen einfach keinen Sinn mehr ergeben. Andererseits ist zu gefährlich geworden, da zu messen», erklärte Huss. Sie Felsflanken seien so instabil geworden, dass die Steinschlaggefahr gross sei.
Wenig Schnee und heisser Sommer
Der starke Rückgang sei auf eine Kombination aus einem schneearmen Winter und einem heissen Sommer zurückzuführen, hiess es von der SKK. So habe es im Winter 2022/2023 sehr wenig Niederschlag gegeben, viele Berge blieben praktisch schneefrei. Im Frühling habe sich die Situation dann kurz normalisiert. Aber der trockene und sehr warme Juni führte dazu, dass der Schnee zwei bis vier Wochen früher schmolz als üblich.
Der drittwärmste Sommer seit Messbeginn und eine zeitweise rekordhohe Nullgradgrenze bis in den September waren laut der SKK dafür verantwortlich, dass vereinzelte Sommer-Schneefälle meist wieder rasch dahinschmolzen und daher den Gletschern kaum halfen.
Nicht jedes Jahr so stark
«Dass auf das Extremjahr 2022 direkt ein weiteres Extremjahr folgte, ist aussergewöhnlich und beängstigend», sagte Huss. Der Gletscherschwund wird nach Einschätzung des Forschers trotz Klimawandel aber nicht jedes Jahr so stark ausfallen wie die letzten beiden Jahre.
«Es ist noch möglich, einen beträchtlichen Teil der Eismasse der Schweizer Gletscher zu retten», betonte Huss. Das sei auch wichtig. Nicht nur, weil sich mit dem Gletscherschwund das Alpenpanorama verändere, sondern auch, weil die Wasser- und Energieversorgung – gerade in trockenen und heissen Sommern – von den Gletschern anhingen.
Wie eine im August im Fachblatt «Nature» publizierte Modellierung von Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigte, wird der Gletscherschwund bis 2040 unabhängig vom Klimaszenario mit ähnlicher Geschwindigkeit fortschreiten. Danach weichen die Schätzungen jedoch, je nach dem, welche Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden, voneinander ab. Während sich die Fläche ohne Massnahmen bis 2100 halbieren könnten, könnte der Verlust der Gletscher laut der Analyse mit starken Klimaschutzmassnahmen auf 22 Prozent begrenzt werden.